Vor allem abends und am Wochenende wird es laut an der Arthurstraße. Foto: dpa

Die Rohrer Höhe war ein ruhiges Plätzchen. Doch seit Flüchtlinge ein Heim bezogen haben, klagen Anwohner über Lärm. Wer kann, fährt in Urlaub.

Rohr - Vor einem Jahr begann die Stadt, Flüchtlinge in einem ehemaligen Schwesternwohnheim in Rohr einzuquartieren. Der Bau eines weiteren Heims in Möhringen ist beschlossen. Die Entwicklung wird dabei nicht halt machen. Fünf Geschichten stehen stellvertretend für das vergangene Jahr und die nahe Zukunft und erzählen von Spannungen wie Solidarität gleichermaßen. Diesesmal: Lärmgeplagte Anwohner fliehen vor dem Lärm in den Urlaub.

Teil 1: Im Gespräch mit Sozialarbeitern des Rohrer Flüchtlingswohnheims. Teil 2: Eine syrische Familie flüchtet vor den Schlächtern der ISIS. Teil 3: Lärmgeplagte Anwohner fahren in Urlaub, um einmal durchschlafen zu können. Teil 4: Ein Marokkaner will eine Ausbildung in einer Schlosserei beginnen, darf aber nicht. Teil 5: Die Stadt Versucht, sich für die Zukunft zu wappnen.

Am schönsten sind die verregneten Wochenenden. Dann ist es ruhig. Bekannte schauen nachmittags zum Kaffee vorbei. Vielleicht ein wenig Papierkram erledigen. Und abends bei gekipptem Fenster ins Bett gehen und einfach mal einschlafen, ohne sich das Kissen aufs Ohr zu drücken.

Scheint jedoch die Sonne „ist hier Halligalli“, sagt Ameli Peters. Dann dröhnt es vom Rohrer Flüchtlingsheim an der Arthurstraße wie von einem Schulhof während der großen Pause. Ihr Haus steht gleich nebenan, in erster Reihe, und sie kann die Leute sehen, die ihr den letzten Nerv rauben.

Ab 17 Uhr dröhnen orientalische Musik und Technobeats

Glaubt man der Frau in dem Sessel, ist es wirklich kein Spaß, in direkter Nachbarschaft zu der Unterkunft zu wohnen. Auf der Rohrer Höhe, in bester Lage, haben sich Gutsituierte niedergelassen, Besserverdiener und Selbstständige und solche, die Ruhe und Abstand vom hektischen Treiben der Stadt suchen. Seit einem knappen Jahr nun hält eben dieses Treiben auch bei ihnen Einzug, und zwar geballt.

200 Flüchtlinge leben in dem Heim. Weil sie nicht arbeiten dürfen, ist ihr Tagesrhythmus ein anderer als der der Anwohner. Sind die Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) vor Ort, geht alles noch gesittet zu. Aber ab 17 Uhr wird es laut. Menschen sitzen draußen, unterhalten sich, telefonieren, die einen hören orientalische Musik, aus anderen Räumen dringt das Wummern von Technomusik.

Bis tief in die Nacht hinein geht das so, immerzu, und die Anwohner sehnen inzwischen das Ende des nächsten Jahres herbei. Dann läuft der Pachtvertrag für das Gelände aus, das die Stadt von der evangelischen Diakonissenanstalt übernommen hat.

„Dort wohnt eine Frau, die sich mit Ohrstöpseln im Garten sonnt“, sagt Ursula Schmitz draußen auf der Straße und deutet auf ein Mehrfamilienhaus mit Terrasse. Da ums Eck wohnt ein Mann, der sich bei einem Anwalt erkundigt hat, welche Rechte er hat, um für Ruhe zu sorgen. Sein Anwalt meinte, da könne man nichts machen. Und dort wohnt eine Mutter mit zwei Kindern, von der weiß sie auch, dass der Lärm sie nervt. „Wir sind nicht gegen Flüchtlinge, gar nicht“, sagt Schmitz. „Wir sind nur gegen die Leute, die hier abends immer Party machen.“

Das Ehepaar fährt zum Schlafen in den Urlaub

Also schreibt sie E-Mails. An die 30 dürften es wohl sein, die sie seit Jahresbeginn verschickt hat. Zuerst an die Mitarbeiter der Awo, „die wirklich machen, was sie können“, später auch ans Sozialamt. Dann rief sie die Polizei. Inzwischen weiß sie schon gar nicht mehr, wie oft.

Immerhin, seit einiger Zeit tut sich etwas. Im Juni fuhr erstmals nachts ein Wachdienst vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Und inzwischen wurden mehrere Bewohner in andere Heime verlegt, die besonders aufgefallen waren. Das hat geholfen.

„Das ist wie ein Campingplatz“, sagt ein Mann, der gerade seine Tasche in den Kombi lädt. Er erweitert den Kreis der Betroffenen und zeigt mit dem Finger in alle Himmelsrichtungen. Hier kennt er jemanden und dort drüben auch. Seine Frau kommt aus dem Haus und verstaut ihre Tasche ebenfalls im Kofferraum. „Wir fahren jetzt zum Schlafen an die Mosel“, sagt sie.

Das ist kein Witz. Es ist Freitagnachmittag, und über das Wochenende wollen sie Urlaub machen. Ein Ehepaar einige Meter weiter winkt ihnen zu. Das sind die Nachbarn, die kommen mit, die wollen auch mal durchschlafen. Und ja, auch sie alle schreiben Beschwerde-E-Mails an die Stadt.

So eine tolle Immobilie

Einige Eingänge weiter. Ein Mann steht vor seinem Haus. Nein, er fährt nicht in Urlaub, er holt seine Kinder ab. Aber das Lärmproblem, das sei ein echtes. „Das hier in der Wohngegend zu machen, ist Wahnsinn“, sagt er. Aber in die rechte Schmuddelecke will er sich nicht gerückt wissen. „Ich bin selbst Ausländer, also kann es das nicht sein.“

Die Dame von nebenan bekommt das Gespräch mit, stellt sich dazu, nickt. „Ich tue mich schwer, dagegen anzugehen“, sagt sie. „Keiner, der in dem Heim wohnt, hat sich das ausgesucht.“ Sie sei froh, wenn dort die Kinder spielen. Wo sie herkommen, hatten sie keine Kindheit.

„Ist der Anwohner weniger schützenswert als der Asylant?“, fragt Ameli Peters und rutscht aufgeregt im Sessel hin und her. Polizisten, die sie gerufen hat, hätten schon zu ihr gesagt: „So eine tolle Immobilie, so eine tolle Lage, stehen sie das durch.“ Aber jetzt hat sie keine Zeit mehr, sie muss noch packen. „Wir sind die nächsten vier Wochenenden weg.“