In einer Messehalle beherbergt ein Notquartier fast 2500 Flüchtlinge. Doch der Zustrom bringt nicht nur das Land in Schwierigkeiten: Die Stadt Stuttgart wird mindestens doppelt so viele Menschen pro Monat aufnehmen müssen wie noch vor einer Woche gedacht.

Stuttgart - Noch in der vergangenen Woche saßen OB Fritz Kuhn, der Erste Bürgermeister Michael Föll und Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer mit sorgenvoller Miene vor der Presse. Statt mit 207 Flüchtlingen pro Monat wie noch im Frühjahr müsse die Landeshauptstadt derzeit mit 600 Neuankömmlingen rechnen. Das führt zu großen Unterbringungsnöten. Doch jetzt sind alle Überlegungen schon wieder überholt: Nach neuesten Berechnungen verdoppelt sich die Zahl der Asylbewerber, die jeden Monat nach Stuttgart kommen – mindestens.

Gut 1200 Flüchtlinge muss die Landeshauptstadt pro Monat jetzt aufnehmen, sagte Michael Föll (CDU) am Mittwoch unserer Zeitung. Am vergangenen Wochenende habe das Land mitgeteilt, dass es im Oktober 18 000 Flüchtlinge aus Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes den Kommunen zur Unterbringung in deren Regie zuweisen wolle. Daraus ergebe sich für Stuttgart das Kontingent von 1216 Personen.

Die Stadt muss sogar befürchten, dass sich auch diese Zahl noch drastisch erhöhen wird. Denn die Landesbehörden sprechen inzwischen von durchschnittlich 1400 Flüchtlingen pro Tag, die ins Land kommen. Legt man den üblichen Verteilungsschlüssel an, würde das in Stuttgart pro Monat 2620 Flüchtlinge bedeuten.

1200 Flüchtlinge pro Monat „kann Stuttgart nicht bewältigen“

Aber so könne man nicht rechnen, sagt Föll. Erstens wisse man nicht, ob der Zustrom ins Land so groß bleibe. Zweitens hänge die künftige Zuweisung davon ab, wie schnell das Land beim Ausbau seiner Erstaufnahmekapazität vorankomme. Und drittens sei zu klären, ob das Land den Kommunen wie angekündigt künftig gar keine Flüchtlinge mehr zuweise, die keine Aussichten hätten, in Deutschland bleiben zu dürfen. Klar ist nach Fölls Worten, dass Stuttgart auch eine Zuweisung von gut 1200 Flüchtlingen pro Monat „auf Dauer nicht bewältigen kann“. Im Moment arbeite man mit Vorrang an einer Lösung für die neue Anforderung vonseiten des Landes, die eine „immense Herausforderung“ darstelle. Zu Details sagte Föll nichts. Die Verwaltung wolle sich am Freitag erklären.

Nach Informationen unserer Zeitung sichtet die Verwaltung zurzeit die Liste mit Turnhallen, die für die schnelle Unterbringung von Flüchtlingen infrage kommen. Auch Zelte werden erwogen, gelten aber als letztes Mittel, zumal die Umsetzung zeitaufwendiger ist als die Turnhallenlösung. Die Nutzung von Festzelten auf dem Cannstatter Wasen, wo am Sonntag das Volksfest endet, wird ausgeschlossen. Diese Zelte seien im Winter ungeeignet, weil sie Wärme nach außen lassen, heißt es im Rathaus. Neben den bereits ausgewählten vier Waldheimen, die schnell mit Flüchtlingen belegt werden sollen, hofft die Verwaltung auf „ein bis zwei weitere“. Aber ein großer Beitrag zur Lösung sei das nicht.

Wie groß die Not ist, zeigt sich auch auf der Landesmesse am Flughafen. Dort sind zwischen Dienstag- und Mittwochabend rund 2000 Flüchtlinge mit Bussen aus Bayern, Mannheim und von der ebenfalls vorübergehend genutzten Messe Ulm angekommen. Die Maximalbelegung des Notquartiers des Landes mit 2500 Menschen soll bald erreicht sein. „Es hat uns vor eine gewaltige Herausforderung gestellt, die Messehalle 1 innerhalb von 24 Stunden herzurichten“, sagt Michael Hagmann vom Regierungspräsidium Stuttgart – zumal das Material knapp ist. Hunderte Helfer von den Maltesern, dem Roten Kreuz, der Bundeswehr und der Freiwilligen Feuerwehr Leinfelden-Echterdingen haben angepackt.

Alleinreisende Männer und Familien schlafen getrennt

In der riesigen Halle liegt Matratze an Matratze. Dazwischen stehen abgehängte Baustellengitter, um den Raum ein bisschen aufzuteilen. Alleinreisende Männer schlafen unten, Familien und Frauen sind auf der Empore untergebracht. Die Atmosphäre hat etwas Gespenstisches, doch die meisten Flüchtlinge stört das nicht. „Es ist ein guter Platz. Die Leute sind sehr nett, es ist warm, wir haben ein Bett und etwas zu essen“, sagt Ayoub aus dem Irak. Um seine Flucht zu bezahlen, haben seine Mutter und seine Schwester den Familienschmuck verkauft. Jetzt hofft er, nach Finnland weiterreisen zu können, wo ein Cousin lebt.

Die Besucher der beiden Fachmessen auf dem Gelände bekommen von der Notunterkunft kaum etwas mit. Die Zugänge sind strikt getrennt. „Unsere Gäste und Aussteller reagieren sehr entspannt“, freut sich Messe-Sprecher Markus Vogt. Am 15. Oktober muss die Halle wieder geräumt sein – dann verlagert sich das Unterbringungsproblem an einen anderen Ort.