Nach dem Freiburger Mord hat die Debatte um kriminelle Flüchtlinge ihren Höhepunkt erreicht. Foto: dpa

Die Debatte um die Kriminalität von Flüchtlingen und Ausländern hat durch den Freiburger Mord einen neuen Höhepunkt erreicht. Was sagen eigentlich die Zahlen?

Stuttgart - Es ist kein Geheimnis, und niemand verschweigt es: Die Kriminalstatistik für Baden-Württemberg bestätigt zumindest auf den ersten Blick, dass Menschen mit einem ausländischen Pass eher mit dem Gesetz in Konflikt geraten als Deutsche. Rund 41 Prozent aller Tatverdächtigen im Land sind im vergangenen Jahr (neuere Zahlen liegen nicht vor) nichtdeutscher Herkunft gewesen; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt aber nur knapp 14 Prozent. Bei Mord und bei Totschlag waren 43 Prozent aller Tatverdächtigen nicht deutsch.

Aber diese Zahlen bedürfen der Interpretation, darin sind sich Soziologen, Kriminologen und Polizeiexperten einig. Es geht dabei nicht um Vertuschung, sondern um Klarstellung. So müssen zunächst einmal alle Straftaten herausgerechnet werden, die nur Ausländer begehen können, wie Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz. Allein dadurch sinkt der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger auf 36 Prozent in Baden-Württemberg.

Ein wichtiger Faktor ist außerdem, dass viele ausländische Verdächtige gar nicht in Deutschland wohnen, sondern – beispielsweise bei Wohnungseinbrüchen – zielgerichtet einreisen, um Straftaten zu begehen. Diesen Anteil muss man ebenfalls herausrechnen, wenn man einen Vergleich mit der ausländischen Bevölkerung im Land anstellen will.

Daneben spielen vor allem das Alter der Verdächtigen und ihre soziale Zugehörigkeit eine wichtige Rolle, wenn man die höhere Zahl an Straftaten erklären will. Unter den ausländischen Mitbürgern ist die Gruppe der jüngeren Männer deutlich stärker als in der deutschen Bevölkerung, und junge Männer sind häufig für Straftaten verantwortlich – unabhängig von ihrer Nationalität. Außerdem: In sozial benachteiligten Schichten – und dazu gehören Migranten häufig – ist erfahrungsgemäß mehr Kriminalität festzustellen. Arbeitslosigkeit, Armut, fehlende Bildung und mangelnde Perspektiven leisten überall der Kriminalität Vorschub.

Junge Männer werden oft straffällig, egal welcher Herkunft

Der emeritierte Soziologe Rainer Geißler von der Universität Siegen hat vor einigen Jahren sogar die These aufgestellt, dass junge Deutsche häufiger hinter Gitter landen als ausländische, wenn man nur jene Gruppe betrachtet, die unter sozial ähnlich schlechten Bedingungen leben. Insgesamt aber lautet sein Fazit durchaus: Während die erste Einwanderergeneration unglaublich bescheiden sei und sich sehr gesetzestreu verhalte, seien „junge Menschen mit Migrationshintergrund seit Mitte der 1990er Jahre besonders bei Gewaltdelikten deutlich höher belastet als gleichaltrige Einheimische.“ Ihre Ansprüche seien oft höher als ihre Möglichkeiten.

Seit 2011 weist die Kriminalstatistik tatverdächtige Asylbewerber eigens aus. Tatsächlich ist die Zahl der Verdächtigen seither fast um das Sechsfache auf zuletzt 18 695 Personen gestiegen. Und auch 2016, so sagt der Sprecher des Innenministeriums, Renato Gigliotti, müsse man nochmals mit höheren Werten rechnen. Bei den meisten Fällen handle es sich um Ladendiebstahl, Schwarzfahren und Körperverletzung. Letzteres sei wiederum fast zur Hälfte auf die beengte Unterbringung der Menschen zurückzuführen: „Oft reicht ein falsches Wort, um die Sache eskalieren zu lassen.“ Für die Stadt Stuttgart lässt sich zeigen, dass sich die Zahl der Straftaten von Asylbewerbern von 2014 auf 2015 etwa verdoppelt hat, obwohl sich deren Zahl im gleichen Zeitraum vervierfachte.

Sowieso ist die Zahl aller Straftaten aller Tatverdächtigen in den vergangenen zehn Jahren nicht signifikant gestiegen (siehe Grafik). Auffällig ist jedoch der Bereich der Wohnungseinbrüche – seit 2006 ist deren Zahl um rund 100 Prozent gewachsen.

Manche Flüchtlinge brauchen Nachhilfe in sozialem Verhalten

Bei den schweren Straftaten gilt es, zwei Punkte festzuhalten: Erstens haben sich die absoluten Zahlen kaum verändert, auch wenn natürlich jeder Einzelfall dramatisch ist. Zweitens waren selten Personen aus den klassischen Flüchtlingsländern die Täter. Bei Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung ist die Zahl der Fälle von 326 (2014) auf 332 (2015) gewachsen. Bei Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch sank die Zahl der Straftaten von 3457 auf 3335. In der Rubrik Mord und Totschlag kommen bei den Verdächtigen nach Deutschen (172) auf den Folgeplätzen Türken (35), Rumänen (14) und Italiener (12). Alle anderen Länder sind mit jeweils sechs Verdächtigen oder weniger vertreten.

Bei den Straftaten von Asylbewerbern fällt im Übrigen auf, dass Syrer, Iraker oder Afghanen deutlich seltener Straftaten begehen, als es ihr Anteil an den Flüchtlingen erwarten ließe. Syrer machten etwa im vergangenen Jahr 36,7 Prozent der Antragsteller aus, aber nur 5,2 Prozent der Tatverdächtigen. Umgekehrt ist dagegen die Situation bei den Algeriern und Georgiern. Die Polizei vermutet, so sagt Renato Gigliotti, dass einzelne Georgier hier Asyl beantragen, um dann als Angelpunkt für Einbrecherbanden tätig zu sein. Bei den Algeriern sei die Zahl der Diebstahlsdelikte sehr hoch, man habe es wohl mit einer Form organisierter Kriminalität zu tun. „Wir können also die Zahlen erklären“, sagt Renato Gigliotti, „was aber nicht bedeutet, dass sie für uns in Ordnung sind.“ Man werde allen, die das Schutzangebot missbrauchten, klar entgegentreten. Mit dem georgischen Innenministerium habe man zum Beispiel eine Kooperation begonnen.

Die Psychologin Maggie Schauer von der Universität Konstanz fordert allerdings mehr Hilfe für viele der geflüchteten Menschen. Denn es liege sehr wohl eine Gefahr darin, wenn Menschen in ihren Herkunftsländern drastische Gewalt erlebten und dort zugleich mit einem Werte-Kodex aufwüchsen, der die Gleichwertigkeit von Frauen infrage stelle, aggressives Verhalten bestärke und die absolute Verwerflichkeit von Gewalt relativiere. Schauer, die 60 unbegleitete junge Flüchtlinge interviewt hat, kommt zu dem Ergebnis: Je nach Schwere des Falls bräuchten gerade junge Männer eine Begleitung, bei der sie „möglichst von männlichen Mentoren klare Regeln lernen zum Thema Sozialverhalten“, sagte sie der Deutschen Presseagentur.

Politikwissenschaftler sieht gespaltene Gesellschaft

Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith warnt vor allem davor, alle Migranten und Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen. Überhaupt, sagen viele Soziologen, müsse man wegkommen von so pauschalen Begriffen wie Ausländer oder Flüchtlinge – das werde diesen äußerst heterogenen Gruppen nicht gerecht. Grundsätzlich gebe es bei jeder Gruppe von Menschen, egal welcher Herkunft, eine Bandbreite von Charakteren: „Manche nutzen die Chancen, die Deutschland bietet, manche nutzen unser System aber auch aus“, sagt Eith. Letzteres sei keinesfalls zu tolerieren, aber man dürfe nicht alle über einen Kamm scheren.

Zudem darf man nicht vergessen: Der alleinige Blick auf die Kriminalstatistik verstellt die Wirklichkeit – denn nur eine kleine Minderheit wird überhaupt straffällig. Die überwältigende Mehrheit der Migranten und Flüchtlinge hält sich selbstverständlich an die deutschen Gesetze.

Ulrich Eith sieht bei diesem emotionalen Thema mittlerweile fast eine Spaltung der Gesellschaft. Einige Menschen machten laut Stimmung gegen die Flüchtlinge und instrumentalisierten jedes Verbrechen. Gleichzeitig erlebe Deutschland ein zivilgesellschaftliches Engagement wie nie zuvor. Fast in jeder Gemeinde habe sich ein Kreis gebildet, der den Flüchtlingen hilft: „Diese Helfer sind nicht so sichtbar – aber ihr Einsatz ist enorm.“