Muhammad A. pflegt die Adlerstaffel im Stuttgarter Süden. Im Rahmen eines Flüchtlingsprojekts will die Stadt den Zustand der vielen Stäffele verbessern Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Stadt Stuttgart hat angekündigt, 1000 einfache Betätigungsmöglichkeiten für Flüchtlinge einrichten zu wollen. Die meisten davon gibt es inzwischen. Doch gut 200 Plätze sind frei. Bei einer Bezahlung von 80 Cent pro Stunde ist viel Werbung nötig, um Leute zu finden.

Stuttgart - Dass er gerade ein Stück Stuttgarter Kulturgut bearbeitet, ist Muhammad A. nicht klar. Der 43-Jährige aus Pakistan und fünf weitere Asylbewerber fegen an diesem Vormittag die Adlerstaffel im Stuttgarter Süden. Über 100 Stufen gilt es zu säubern, die Fugen zu reinigen und das heruntergekommene Geländer abzuschleifen. Tags darauf rücken die Flüchtlinge erneut an, um alles frisch zu streichen. Und das im Rahmen eines Projekts der Stadt.

„Die Tätigkeit ist nicht schwierig. Arbeit ist Arbeit“, sagt der grauhaarige Mann auf Englisch. Unter der orangefarbenen Arbeitsbekleidung schaut ein gepflegtes Hemd hervor. Zu Hause habe er eine Firma gehabt, die Autoteile herstellt, sagt er – und die Tränen schießen ihm in die Augen. „Dort hatte ich ein besseres Leben als hier. Mein Unternehmen, ein Haus, ein Auto“, erzählt er. Doch weil er Zeuge in einem Mordprozess sei, habe er das Land verlassen müssen. „Ich kann nicht zurück. Dort gibt es eine richtige Mafia. Die finden dich.“ Seit fünf Monaten ist er nun in Stuttgart und die neue Betätigung im Freien hilft wenigstens ein bisschen in einen normalen Alltag zurück.

8200 Asylbewerber leben derzeit in Stuttgart. Die Stadt hat vor einigen Monaten angekündigt, rund 1000 Arbeitsgelegenheiten für sie schaffen zu wollen, um die Integration zu erleichtern. Das Problem dabei: Alle diese Tätigkeiten müssen laut Gesetz zusätzlich sein, sie dürfen nicht von anderen Beschäftigten erledigt werden können. „Es ist deshalb nicht immer einfach, interessante Aufgaben zu finden“, sagt Stefan Schrade vom Haupt- und Personalamt.

Putzen, Gärtnern, Hausmeistertätigkeiten

Rund 900 der Arbeitsmöglichkeiten sind inzwischen geschaffen. 600 davon in Flüchtlingsunterkünften. Die Beschäftigten üben einfache Hausmeister- oder Reinigungstätigkeiten aus. Weitere 100 Plätze bietet man bei städtischen Ämtern und Eigenbetrieben an, zumeist für Garten- und Reinigungsarbeiten. Dazu kommen 200 Plätze in Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Trägern.

Am Anfang konnte die Stadt dafür 1,05 Euro pro Stunde bezahlen. Seit der Bund das neue Programm für Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen ins Leben gerufen hat, hofft man, diese Kosten künftig von dort zu bekommen, darf dafür aber nur noch 80 Cent bezahlen. An der Stadt hängen bleiben Werbekosten und das Geld für diverse Anleiter, die die Stadt eigens eingestellt hat. „Wenn man das ordentlich machen will, reichen die Gelder vom Bund nicht aus“, sagt Sozial- und Integrationsbürgermeister Werner Wölfle. Er sieht die Arbeitsgelegenheiten nicht nur als Chance für Flüchtlinge, ihrem Alltagstrott zu entkommen, sondern auch als Möglichkeit, „etwas zurückzugeben“.

Doch der Erfolg ist bisher überschaubar. Die 600 Plätze in den Unterkünften sind zwar fast vollständig besetzt, von den 300 weiteren aber nur rund ein Drittel. Anfahrtswege und geringe Bezahlung lassen das Interesse bisher übersichtlich bleiben. „Die Nachfrage könnte größer sein“, sagt Schrade und hofft darauf, dass sich die Möglichkeit, eine Struktur in den Tag zu bekommen und vielleicht später auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben, noch herumspricht.

Viele Plätze sind noch unbesetzt

Das Stäffelesprojekt läuft bereits seit einigen Wochen und ist in den Unterkünften beworben worden. „Derzeit haben wir elf Asylbewerber dabei, es könnten aber noch einige mehr sein“, sagt Clarissa Schubert von der gemeinnützigen Gesellschaft SBR, die das Projekt für die Stadt organisiert. Für die meisten Bewerber sei die Hauptmotivation, dass mit den Arbeitsgelegenheiten grundsätzlich auch Sprachkurse verbunden seien. 25 Stunden pro Woche wird gearbeitet, den restlichen Tag gelernt. Dementsprechend sind die Erfahrungen bisher gemischt. „Es gibt auch welche, die nicht erscheinen. Auf dem Weg von der Unterkunft übers Sozialamt bis zum Arbeitseinsatz geht mancher verloren“, so Schubert.

Diejenigen, die kommen, sind aber meist motiviert bei der Sache. Dafür sorgt schon Silvia Mayer. Die Anleiterin und gelernte Malerin kommt mit den vorwiegend männlichen Flüchtlingen gut klar. „Manche sind schwierig, andere nicht. Aber ich bin sehr streng und lasse nicht mit mir diskutieren. Das kommt gut an“, sagt sie und lacht. „So musch des macha, gugg“, ruft sie einem ihrer Schützlinge zu und zeigt die richtige Pinselhaltung. Kommuniziert wird auf Deutsch, Englisch und mit Händen und Füßen.

Auch Sheriff Dembajang ist am Streichen. „In der Unterkunft hat man mir von dem Projekt erzählt. Die Arbeit ist besser als immer nur rumzusitzen und nichts zu tun. Außerdem kann man im Kurs die Sprache lernen“, sagt der Mann aus Gambia. Er sei früher als Fahrer angestellt gewesen, habe aber „wegen Problemen“ fliehen müssen. Nach den ersten Tagen könne er sich nun vorstellen, künftig als Maler zu arbeiten, sagt er. Dann hätte der Einsatz für das Stuttgarter Kulturgut Stäffele zumindest in diesem Fall einen Erfolg gebracht.

Hintergrund: 50 000-Euro-Spende und kostenlose Touren

In Stuttgart gibt es rund 400 Stäffele, die auf einer Gesamtlänge von 20 Kilometern den Talkessel mit den Hanglagen verbinden. Die Pflege ist aufwendig. Deshalb investiert die Stadt zusätzlich zu den regulären Reparaturarbeiten jährlich weitere 300 000 Euro aus einem Sonderprogramm, um wenigstens das Nötigste tun zu können.

Für das Flüchtlingsprojekt zur Pflege der Stäffele hat die Stadt jetzt Unterstützung von der PSD-Bank bekommen. Das Finanzinstitut, das seinen Sitz in Bad Cannstatt hat, steuert 50 000 Euro bei. Als regionales Unternehmen sehe man es als eigene Aufgabe, Flüchtlinge beim Zurechtfinden in der neuen Umgebung zu unterstützen, sagt der Vorstandsvorsitzende Jürgen Wunn: „Viele von ihnen haben Schlimmes erlebt. Nun muss es weitergehen, mit allem, was dazu gehört.“ Die Stadt ist dankbar für die Hilfe: „Es war uns als Kommune bisher nicht möglich, alle diese Kleinode, die ein Symbol für Stuttgart sind, in einem vorzeigbaren Zustand zu erhalten“, sagt Sozial- und Integrationsbürgermeister Werner Wölfle.

Finanziert werden mit der Spende auch acht spezielle und kostenlose Stäffelestouren im Oktober. Jeder, der Interesse hat, kann sich im Internet anmelden unter der Adresse www.psd-liebenswert.de/staeffele. (jbo)