Der Protestmarsch der Flüchtlingsbewegung ‚The voice’ in Leipzig will auf die Lage von Asylbewerbern in Deutschland aufmerksam machen Foto: dapd

Baden-Württemberg schließt sich dem Vorstoß von zwei rot-grünen Bundesländern nicht an – und bremst damit Integrationsministerin Öney aus

Stuttgart - Die rot-grün regierten Bundesländer Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fordern, die Sachleistungen für Asylbewerber abzuschaffen. Stattdessen sollen diesen Flüchtlingen sowie geduldeten Ausländern künftig die normalen Sozialleistungen ausbezahlt werden.

Das grün-rot regierte Baden-Württemberg wird diesem Vorstoß der beiden Länder im Bundesrat allerdings nicht zustimmen – zumindest nach jetzigem Stand. Dem Vernehmen nach ist der grüne Koalitionspartner zwar für die entsprechende Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, und auch im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien ist eine eindeutige Passage dazu enthalten. Doch als Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) dieser Tage einen entsprechenden Kabinettsbeschluss herbeiführen wollte, stieß sie ausgerechnet bei ihren Parteifreunden auf heftigen Widerstand.

Sowohl die Ressorts von Sozialministerin Katrin Altpeter und Innenminister Reinhold Gall als auch das von Nils Schmid (Finanzen und Wirtschaft) verweigerten die Zustimmung. Der Punkt wurde daher von der Tagesordnung wieder abgesetzt. In den widerspenstigen Ressorts ist zu hören, dass eine Abschaffung der Sachleistungen die Kommunen im Land erheblich mehr Geld kosten würde – Geld, das das Land den Kommunen aller Erfahrung nach irgendwann zurück erstatten müsste.

Zehn Prozent mehr Kosten

Da aber auch Baden-Württemberg auf einem riesigen Schuldenberg sitzt und in den nächsten Jahren weitere Milliarden Euro an Krediten aufnimmt, geht man in den genannten SPD-Ministerien davon aus, dass die Grünen in der Frage nicht auf den Koalitionsvertrag bestehen. Schließlich habe Ministerpräsident Winfried Kretschmann eingeräumt, wie schwer ihm das Sparen falle, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Schon jetzt ächzen die Kommunen im Land unter der steigenden Zahl von Asylbewerbern. Letztes Jahr kamen bundesweit zehn Prozent mehr als das Jahr davor. Insgesamt gab Deutschland 2011 rund 908 Millionen Euro für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus – 11,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in diesem Jahr wird mit einem deutlichen Anstieg der Asylbewerberzahlen gerechnet – nicht zuletzt auch deshalb, weil auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts die Bargeldzahlungen für Asylbewerber deutlich erhöht werden müssen. Seit 1993 bekam ein Erwachsener unverändert knapp 225 Euro im Monat. Dies sei für Kleidung, Körperpflege und sonstige Anschaffungen zu wenig, befand das Gericht im Sommer. Künftig werden sich die Kommunen wohl an den Leistungen für Hartz-IV-Empfänger orientieren müssen. Rheinland-Pfalz zum Beispiel zahlt erwachsenen Asylbewerbern inzwischen 346 Euro im Monat. Für die Kommunen bedeutet dies Mehrkosten in Millionenhöhe.

Die evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz begrüßten den Vorstoß, die Sachleistungen abzuschaffen. Dies sei eine Frage der Menschenwürde, hieß es am Mittwoch. In den SPD-Ministerien im Südwesten argumentiert man anders: Man könne nicht Sozialleistungen wie das Landeserziehungsgeld streichen und zugleich Asylbewerbern mehr Geld geben. Dies müssten auch die Grünen, eine bekanntlich flüchtlingsfreundliche Partei, begreifen. Und wenn die das nicht begreifen? „Jedem von denen“, zischt ein Beamter, „sollte man dann vier Flüchtlinge in den Garten stellen.“