Die Sporthalle am Solitude-Gymnasium fungiert nicht nur als Wohn- und Schlafzimmer, sondern auch als Küche und Esszimmer. Foto: Martin Braun

Schwierige Zustände in der Sporthalle: Die rund 160 Flüchtlinge in der Spechtweghalle wollen schnell umziehen. Ende Januar könnte es so weit sein. Dann sollen zumindest einmal die drei Systembauten in Hausen eingeweiht werden.

Stuttgart-Weilimdorf - Es ist der letzte Ausweg. Erst wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, wollte Erster Bürgermeister Michael Föll bei der Unterbringung von Flüchtlingen auf Turnhallen zurückgreifen. Seit wenigen Tagen ist die Not in Stuttgart nun so groß, dass für die Rathausspitze kein Weg mehr daran vorbeiführt, die Sportstätten zu belegen. „Es fehlen bis Ende des Jahres immer noch 800 bis 1000 Plätze“, sagte Föll im Rahmen einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch. „Massenquartiere wie Turnhallen wollen wir vermeiden, können aber nicht versprechen, dass wir noch weitere in Anspruch nehmen müssen.“

Ende der Woche werden fünf Sporthallen in Stuttgart belegt sein, sagt der Leiter des Sozialamtes Stefan Spatz. Darunter befindet sich seit etwas mehr als einer Woche auch die Spechtweghalle am Solitude-Gymnasium in Weilimdorf. Derzeit leben dort auf engstem Raum 159 Menschen, 70 weitere sollen in den nächsten Tagen folgen. Etwa 250 Ehrenamtliche kümmern sich sieben Tage die Woche um die Menschen. „Wir schaffen es zum Glück, dass zwischen 9 und etwa 19 Uhr immer mindestens vier Helfer vor Ort sind“, sagt Werner Bossert, der Sprecher des Flüchtlingskreises Weilimdorf.

Eine der Ehrenamtlichen ist Claudia Kowol, die im sozialen Netzwerk Facebook von ihren ersten Begegnungen in der Spechtweghalle spricht: „Die meisten der Menschen kenne ich und habe sie ins Herz geschlossen. Ich kenne nicht alle ihre Geschichten, aber ich schaue in viele Gesichter und weiß, dass sie viel mitmachen mussten.“ Sie wisse nur, dass alle monatelang zu Fuß auf der Balkanroute unterwegs gewesen sein müssen. Die Menschen seien sehr dankbar und bräuchten Hilfe. Ein Paar aus Syrien habe nur eine Kinderdecke bekommen und friere nachts. Ein anderer Bewohner habe einen Anhörungstermin in Ellwangen und wisse nicht, wie er hinkomme. „Am liebsten würde ich mich klonen können und alle Zeit der Welt haben“, schreibt Claudia Kowol.

Das Hoffen auf einen schnellen Umzug

Die Situation in der Spechtweghalle ist für die Flüchtlinge an der Grenze des Erträglichen. Privatsphäre gibt es so gut wie keine. Die Sporthalle sei eine Keimzelle, ein Durchlauferhitzer, sagt Bossert. Dabei könnte er ein Gerät zur Warmwasserbereitung sehr gut gebrauchen. „Der Warmwasserspeicher für die Duschen ist zu klein. Nach einer Weile ist das Wasser nur noch kalt. Zum Teil können die Menschen dort ihre Babys nicht richtig waschen“, sagt Bossert. Dieser Zustand müsse sich schnell ändern. Alles andere als optimal sei es auch, dass noch keine Waschmaschinen vor Ort seien. „Bislang gehen wir mit den Leuten nach Weilimdorf in einen Waschsalon. Marken haben sie von der Stadt bekommen, aber die reichen nicht aus.“ Auf Nachfrage erklärt Sozialamtsleiter Stefan Spatz, dass es aufgrund von Lieferengpässen von Waschmaschinen-Containern zu Verzögerungen gekommen sei. „Im Laufe dieser Woche werden entsprechend der Mindeststandards zwei halbgewerbliche Waschmaschinen und zwei halbgewerbliche Trockner in der Turnhalle aufgestellt werden.“ Auch bei den Toiletten besteht noch Bedarf. Insgesamt gebe es derzeit 20 WCs, weitere acht sollen in zusätzlichen Containern bereitgestellt werden.

Doch ein Problem werde man wohl nicht lösen können, sagt Bossert: „Die Halle ist eine akustische Katastrophe.“ Der Lärmpegel erfordere von den Menschen ein hohes Maß an Toleranz. „Und die Leute halten das wirklich mit einer großen Geduld aus. Dennoch werden wir für sie Ohropax besorgen.“ Kein Wunder also, dass sich die Flüchtlinge wünschen, so schnell wie möglich umzuziehen. „Wie lange müssen wir noch hier bleiben“, fragte ein Syrer am vergangenen Montag Umweltminister Franz Untersteller, der in der Spechtweghalle zu Gast war. Der Politiker hatte keine Antwort parat. Niemand hat eine Antwort parat – weder Bezirksvorsteherin Ulrike Zich, noch Sozialamtsleiter Stefan Spatz. „Ich hoffe, dass Sie in zwei bis drei Monaten umziehen können“, sagte Zich. „Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“ Auch Spatz möchte sich nicht festlegen. Im Bezirksrathaus und Flüchtlingskreis hofft man auf jeden Fall, dass die Menschen in Weilimdorf wohnen bleiben dürfen. Ende Januar sollen die drei Systembauten in Hausen bezugsfertig sein. Wann die zwei Gebäude an der Solitudestraße eingeweiht werden, kann Spatz nicht sagen: „Es wäre grob fahrlässig, einen Termin zu nennen.“ Ursprünglich war geplant, dass dort schon Mitte des Jahres bis zu 156 Flüchtlinge einziehen können. Doch das Genehmigungsverfahren hat sich verzögert. Zudem wurden im Boden mehr Altlasten gefunden als vermutet.

Die Motivation der Ehrenamtlichen ist groß

Trotz der schwierigen Umstände in der Spechtweghalle läuft es vor Ort sehr gut, sagt der Rektor des Solitude-Gymnasiums, Bruno Stegmüller. Er hoffe, dass die positive Stimmung anhalte. „Die Zeitfrage wird hier der entscheidende Faktor sein.“ Und auch die Mitglieder der Schülermitverwaltung (SMV) sprechen von einer durchweg positiven Stimmung zwischen den Schülern und den Flüchtlingen. Die Menschen seien akzeptiert, einige Gymnasiasten würden sich auch in Kooperation mit dem Flüchtlingskreis engagieren, und Sportunterricht müsse derzeit auch keiner ausfallen.

„Wir versuchen die Motivation der Ehrenamtlichen hochzuhalten. Es wird ein Marathon und kein 400-Meter-Lauf. Da müssen wir mit den Ressourcen behutsam umgehen“, sagt Bossert. In dieser Woche hat das tägliche Betreuungsangebot für Kinder begonnen. Im evangelischen Gemeindehaus in Wolfbusch wird gebastelt, gespielt und gesungen. Auch Sprachkurse für Erwachsene sind ab nächster Woche geplant. Eine Fahrradwerkstatt und Ausflüge sind angedacht. „Ich denke, ohne die Arbeit der Freundeskreise wären wir schon längst gescheitert“, sagt Minister Franz Untersteller.