Gert Lienig berät ausreisepflichtige Asylbewerber Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Eine Beratungsstelle für Rückkehrer im Stuttgarter Sozialamt verzeichnet doppelt so viele Rückkehrer wie noch vor zwei Jahren. Der Leiter Gert Lienig berät auch immer mehr Menschen aus Westbalkan-Staaten. Und kämpft mit der Bürokratie.

Stuttgart - Er stempelt und heftet, nimmt ein Telefonat an, tackert, tippt eine Rechnung, heftet – ob die Arbeit von Gert Lienig tatsächlich aber den Zweck erfüllt, den er sich von ihr erhofft, kann er nicht sagen. Lienig verstaut einen gut gefüllten Ordner mit der Aufschrift „Rückkehrer“ in dem weißen Ikea-Regal neben seinem Schreibtisch. Raum 399, 3. Stock, Schwabenzentrum B2, ein Zimmer geordnet wie ein Verwaltungsregister. „Das Prozedere ist immer das gleiche“, sagt Lienig. Das Telefon klingelt erneut. Ein Mitarbeiter der Asylstelle. Es geht um eine weitere Rückreise eines Flüchtlings.

Gert Lienig ist Leiter der Stelle für Rückkehrer. Er berät Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die in die Heimat zurückreisen müssen. Der offizielle Name, der auf einem Schild an der Bürotür steht, dürfte für viele Ausreisende daher zumindest eine Spur zu optimistisch klingen: „Zweite Chance Heimat – Freiwillige Rückkehr und Reintegration“.

Zahl der Beratungen seit 2012 verdoppelt

Die meisten Menschen gehen nur bedingt freiwillig, sagt Lienig. Denn wenn sie blieben, drohte ihnen die Abschiebung. Diese wiederum zieht eine Einreisesperre nach sich. „Mehr als 90 Prozent unserer Klienten sind ausreisepflichtig.“ Und in letzter Zeit kommen vermehrt Menschen aus Serbien und Mazedonien in das Büro in der Eberhardstraße. Denn seit der von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mitgetragenen Entscheidung im Bundesrat, die beiden Westbalkanstaaten sowie Bosnien-Herzegowina zu „sicheren Herkunftsländer“ zu erklären, hat sich die Ausweisung von Menschen aus diesen Ländern beschleunigt. Die Asylbehörden können Asylanträge schneller ablehnen, was sich direkt auf die Arbeit von Gert Lienig auswirkt.

Der Sachbearbeiter klappt einen Aktenordner auf, in dem die Statistiken abgeheftet sind. Im laufenden Jahr verzeichnet die Rückkehrerberatung 140 Ausreisen. Rund die Hälfte der Rückkehrer stammen aus Serbien oder Mazedonien. Die Zahl ist in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen. Im Jahr 2012 beriet die Stelle lediglich 89 Menschen. Gert Lienig rechnet damit, dass die Anzahl noch zunimmt.

Die Beratungsstelle organisiert Bustickets und Flüge

Auf dem Computerbildschirm des Mitarbeiters ist gerade eine Fahrtkostenabrechnung geöffnet. Die seit 2004 bestehende Rückkehrer-Beratung plant gemeinsam mit den Ausreisenden die Fahrt und stellt deren Kosten zusammen. Die Stelle bezahlt Bustickets. Für eine Fahrt nach Serbien zum Beispiel ungefähr 100 Euro, so Lienig. In seltenen Fällen – wenn die Herkunftsländer weiter entfernt sind – bezahlt die Beratungsstelle auch einen Flug. „Außerdem gibt es für die Reise ein Taschengeld von 25 Euro.“

Zu drei Viertel finanziert die Europäische Union das Angebot. Den Rest teilen sich Stadt und Land. Die Beratung verfügt insgesamt über ein Budget von rund 140 000 Euro im Jahr. Die Hilfe beschränkt sich nicht darauf, dass Lienig und seine zwei Kollegen Fahrkarten und Flugtickets buchen.

Auch ein Anschub für eine Existenzgründung im Heimatland zählt zu ihren Aufgaben. Mit einem irakischen Schlosser hat Lienig vor kurzem zum Beispiel einen Finanzplan aufgestellt, um einen Betrieb in der Heimat zu gründen. „Wir haben ihm auch den Kauf von zwei Schweißmaschinen ermöglicht, für rund 3000 Euro“, sagt Lienig. In der Heimat übernimmt eine irakische Beratungsstelle die weitere Unterstützung.

In Heimat droht Rückkehrern die Armut

Solch großzügige Hilfen bekommen die Rückkehrer aus den Westbalkanstaaten allerdings nicht. In der Heimat erwarte die Serben, Bosnier oder Mazedonier oft die Perspektivlosigkeit. „Die Chance auf ein neues Leben haben nur wenige. Viele Rückkehrer sind Roma, die zwar nicht verfolgt werden, aber mit Diskriminierung kämpfen.“ Laut einer aktuellen Statistik des Internationalen Währungsfonds ist in Serbien beinahe jeder fünfte Mensch arbeitslos.

Lienig schließt einen Aktenordner. Kopfzerbrechen bereitet ihm ein Dokument namens GÜB. Die Abkürzung steht für Grenzübertrittsbescheinigung. Diese dient der Ausländerbehörde als Nachweis dafür, dass der Rückkehrer auch tatsächlich die Grenze übertreten und in das Heimatland ausgereist ist. Wenn die Menschen über andere Schengen-Staaten, wie im Falle der Fahrt nach Serbien, reisen, müssen die Rückkehrer das Dokument in der deutschen Botschaft in ihrem Heimatland abgeben. „Die Bescheinigungen“, so Lienig, „kommen aber fast nie zurück.“ Ob die Menschen also tatsächlich zurückreisen, bleibt offen.

In der Ausländerbehörde Stuttgart heißt es, dass das Haus keine Statistik über die ausgestellten und wieder eingegangenen Übertrittsbescheinigungen führt. „Wir können unter Umständen nicht feststellen, ob ein Ausreisepflichtiger ausgereist oder untergetaucht ist“, sagt ein Mitarbeiter. Gelangt keine Ausreisebestätigung zurück in die Behörde, nimmt die Bundespolizei Ermittlungen auf, um den Aufenthalt der Person herauszufinden.

Gert Lienig hemmt diese Unsicherheit nicht bei seiner Arbeit „Es ist nur schade, dass wir die Probleme nur ordnungspolitisch hier vor Ort lösen.“ Zuhause treffen die Rückkehrer wieder auf die harte Realität: Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, Armut. Diese Übel zu bekämpfen, ist keine leichte Aufgabe. Zumindest vom Schreibtisch aus.