In Esslingen Zell ist vor einem Jahr erstmals in der Region eine Sporthalle mit Flüchtlingen belegt worden - die Nutzung besteht nach wie vor Foto: Horst Rudel

Städte und Landkreise suchen händeringend nach neuen Unterkünften für Flüchtlinge. Dabei greifen sie jetzt auf Sport- und Gewerbehallen zurück. Fünf davon sind in Stuttgart und der Region bereits belegt, in den nächsten Wochen kommen sieben weitere hinzu.

Stuttgart - Die Bundespolizei hat ein weiteres bemerkenswertes Wochenende hinter sich. 180 Flüchtlinge sind zwischen Freitag und Montagmorgen am Stuttgarter Hauptbahnhof aus Zügen gestiegen und haben sich an die Beamten gewandt, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Um all die Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak überhaupt erfassen zu können, mussten Kollegen vom Flughafen, aus Karlsruhe und Weil am Rhein aushelfen. Danach fuhren die Neuankömmlinge weiter zur Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe.

Von dort werden zumindest einige von ihnen schon bald wieder in die Region Stuttgart zurückkehren. Und viele mehr noch dazu. Doch die Landkreise und Kommunen wissen nicht mehr wohin mit den vielen Menschen. Die Stadt Stuttgart errichtet immer neue Systembauten in unterschiedlichen Stadtteilen, kommt aber nicht mehr hinterher. Die umliegenden Kreise tun sich zum Teil noch schwerer. Das führt dazu, dass immer häufiger Notquartiere eingerichtet werden. Vorwiegend in Sporthallen, weil es dort sanitäre Anlagen und ein festes Dach über dem Kopf gibt.

Derzeit werden bereits fünf Hallen in der Region für Asylbewerber genutzt. Demnächst wird es mindestens ein Dutzend sein. Am vergangenen Mittwoch sind 110 Flüchtlinge in die Sporthalle der Gottlieb-Daimler-Schule 2 in Sindelfingen gezogen. Sichtschutzwände aus Rigips sollen zumindest ein bisschen Privatsphäre bieten. „Es ist derzeit gar nicht so einfach, Handwerker dafür zu bekommen“, sagt Dusan Minic, Sprecher des Landkreises Böblingen. Zudem müssen Tische, Stühle und Betten her. Auch das ist eine Herausforderung.

In Esslingen besteht die Nutzung seit einem Jahr

Die erste Sporthalle in der Region, die als Notunterkunft genutzt worden ist, war die des Berufsschulzentrums in Esslingen-Zell. Trotz mehrmaliger Ankündigung des Landkreises, sie der Schule zurückzugeben, leben dort auch knapp ein Jahr nach Einzug noch rund hundert Menschen in beengten Verhältnissen. In Stuttgart hat das Land derzeit in Nebensälen der Schleyerhalle 500 Flüchtlinge untergebracht. Sie sollen bis spätestens Donnerstag wieder ausziehen.

Im Landkreis Ludwigsburg werden derzeit zwei Gewerbehallen in Asperg und Pleidelsheim genutzt. Letztere soll noch in dieser Woche wieder leer sein, die Bewohner in bessere Unterkünfte umziehen. In Asperg leben derzeit 85 Menschen. „Wir sind ständig fieberhaft auf der Suche nach Gebäuden“, sagt Andreas Fritz. Der Sprecher des Landratsamts betont, dass Sporthallen „die mit Abstand schlechteste Alternative“ seien. Nutze man sie, müssten Schulen und Vereine auf die Sportnutzung verzichten. Außerdem gebe es dort zwar sanitäre Anlagen, man müsse aber mobile Küchen aufstellen. „Deshalb werden wir mit allen Mitteln versuchen, die Belegung von Sporthallen zu vermeiden“, sagt Fritz.

Anderswo klappt das nicht. Der Landkreis Göppingen wird von diesem Dienstag an die Sporthalle des Berufsschulzentrums Geislingen mit bis zu 80 Flüchtlingen belegen. Auch die Festhalle in Schorndorf-Haubersbronn (Rems-Murr-Kreis) verwandelt sich noch in dieser Woche in eine Notunterkunft. Duschcontainer vor der Tür sollen ausreichende hygienische Verhältnisse sichern. Anfang September werden auch die Sporthallen der Berufsschulzentren in Schorndorf, Backnang und Waiblingen umfunktioniert. Kurz danach folgen die Hallen der Berufsschule Leonberg sowie der Mildred-Scheel-Schule in Böblingen.

An den betroffenen Schulen fällt Unterricht aus

Die Situation für die betroffenen Schüler wird nicht leicht. „Wir haben darauf geachtet, dass die Schulen Ausweichmöglichkeiten haben“, sagt Minic. Sowohl in Leonberg als auch in Sindelfingen gebe es zwei Sporthallen, in Böblingen eine Möglichkeit in der Nähe. Gerüchte, dass unter dem großen Umbaudruck teilweise Sportgeräte der Schulen weggeworfen würden, weist er zurück. „In der Daimlerschule beispielsweise sind sie in einem Gang gelagert und mit einer Wand abgeschirmt worden.“ In Backnang versucht das Landratsamt, Zeiten in anderen Sporthallen zu bekommen. Die Schüler sollen dann mit Bussen dorthin gebracht werden.

Unterricht wird aber an allen betroffenen Schulen ausfallen. Und es werden bald mehr Hallen nötig sein. Egal, wie viel Kundschaft die Stuttgarter Bundespolizei am nächsten Wochenende verzeichnet.

Hintergrund

Flüchtlingszahlen

Das Bundesamt für Migration hat jüngst seine Prognosen massiv angehoben. Demnach könnten in diesem Jahr nicht wie zuvor angenommen 450 000, sondern 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Baden-Württemberg muss nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel knapp 13 Prozent der Asylbewerber unterbringen. Das bedeutet, dass das Land 2015 nicht mehr mit 54 000, sondern mit mehr als 100 000 Flüchtlingen rechnen muss.

Innerhalb des Landes werden die Menschen nach Einwohnerzahl über die Städte und Landkreise verteilt. Stuttgart beispielsweise geht bis zum Jahresende von bis zu 5400 Flüchtlingen aus, Ende 2016 könnten es bereits zwischen 8000 und 10 000 sein, für die man Platz braucht. Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat jüngst vorgeschlagen, bei der Unterbringung künftig auch die tatsächlich zur Verfügung stehenden Flächen als Kriterium für die Quote heranzuziehen. (jbo)