In ganz Deutschland sind Turnhallen mit Flüchtlingen belegt. Foto: dpa

In zwei Wochen beginnt in Baden-Württemberg die Schule. Was passiert dann mit den Flüchtlingen, die momentan in Turnhallen untergebracht sind. Kommunen fürchten ein Ende der Toleranz, wenn der Sportunterricht ausfallen muss.

Stuttgart - „Wenn die Turnhallen nicht mehr für den Sport genutzt werden können, spätestens dann kippt die Stimmung im Land“ - mit diesem Satz beschreiben Politiker gern die Grenzen der Toleranz der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen. Nun ist die zweckfremde Belegung von Schulturnhallen im Land Fakt. Und das Kultusministerium hat mit einem Brief an die Kommunalen Landesverbände auf das Dilemma aufmerksam gemacht, in dem sich die Schulträger befinden. Letztendlich stehen sie zwei Wochen vor Schulbeginn vor der Frage: Sichern wir den Sportunterricht oder bieten wir den Hilfesuchenden ein Dach über dem Kopf an? Bislang haben sie klare Prioritäten für die Hilfesuchenden gesetzt.

Insbesondere Berufsschulzentren im Land sind von der Nutzung ihrer Turnhallen für Asylbewerber betroffen. Denn die Landkreise sind nicht nur für die vorläufige Flüchtlingsunterbringung, sondern auch für die beruflichen Schulen zuständig. In Backnang, Schorndorf und Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) wird für insgesamt etwa 340 Flüchtlinge jeweils eine Sporthalle genutzt - auf unbestimmte Zeit. In Tübingen wird eine Kreissporthalle für eine Jahr umgewidmet, um rund 400 Asylsuchende zu beherbergen. Wie es mit dem Sportangebot von drei beruflichen Schulen, einem Gymnasium und mehreren Vereinen weitergeht, daran wird noch gearbeitet. In Offenburg (Ortenaukreis) dienen bis Februar 2016 vier Kreissporthallen mit je bis zu 250 Plätzen als Unterkunft.

Folgen für Abiturienten und angehende Sportlehrer

Der Ministerialdirektor im Kultusressort, Jörg Schmidt, lenkt in seinem Schreiben den Blick auf die Konsequenzen der Belegung von Schulturnhallen: Die könnten „möglicherweise weitreichender, als es auf den ersten Blick erscheinen mag“, ausfallen. Dabei befürchtet er vor allem Folgen für die Gymnasiasten, die Sport als Prüfungsfach im Abitur haben, und für angehende Sportlehrer, die Turnhallen zwecks Ausbildung und Lehrproben benötigen.

Kreise, Städte und Gemeinden sollten alle Möglichkeiten ausloten, um den Sportunterricht zu sichern. Dazu könnten Kommunen mit Vereinen oder Betriebssportstätten kooperieren sowie interkommunale Lösungen finden. Andernfalls sei mit kritischen Rückmeldungen seitens der betroffenen Schulen, Eltern und Schüler zu rechnen.

Kommunen sehen Land in der Pflicht

Mit dem Brief sorgt der ehemalige Oberbürgermeister von Radolfzell (Kreis Konstanz) aber auch für Unmut bei den Kommunen. „Das Kultusministerium kann nicht den Schwarzen Peter an die Stadt- und Landkreise schieben“, meint der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Eberhard Trumpp. Die Kreise führten schließlich nur aus, was die Landesregierung ihnen auferlege. Turnhallen müssten in Anspruch genommen werden, weil die Menschen nicht ohne Dach sein könnten. „Wenn der Kultusmister Andreas Stoch (SPD) will, dass man das anders macht, dann soll er sagen, wie das gehen kann.“

Der Gemeindetag sieht die Probleme gelassener. „Kein Bürgermeister sperrt die Turnhalle für den Unterricht leichtfertig“, sagte die Sprecherin des Verbandes. Aber wenn die Not so groß sei, müsse man auf Turnhallen zurückgreifen können. Alternativen seien Sport im Freien, Schwimm- statt Sportunterricht und Kooperationen zwischen den Kommunen. Auch der Landesschülerbeirat und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) meinen, dass angesichts der menschlichen Tragödie die Unterbringung von Flüchtlingen Vorrang habe. „Jeder muss ein bisschen kürzertreten“, sagt Moritz Kern, Sprecher des Landesschülerbeirats. Allerdings müssten langfristig andere Lösungen gefunden werden. GEW-Sprecher Matthias Schneider pflichtet ihm bei: „Unterrichtsanausfall ist angesichts der Not der Flüchtlinge verkraftbar.“

Philologenverbands-Chef Bernd Saur hingegen ist voll des Lobes für den ehemaligen Kommunalpolitiker Schmidt. „Konflikte müssen antizipiert werden.“ Aus Sicht des Vertreters der Gymnasiallehrers, muss der Sportunterricht gesichert werden. „Wir sind uns alle einig, dass sich unsere Kinder mehr bewegen sollen. Es darf nicht so sein, dass immer, wenn es eng wird, zuerst der Sport bluten muss.“

Er verweist auch darauf, dass bei Schwierigkeiten im Sportabitur und in der Lehrerausbildung die Betroffenen vor den Kadi ziehen könnten. Als allerletzte Kompromisslösung könnten Hallen genutzt werden, die aus mehreren Teilen bestehen oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer anderen Halle liegen, sagte Saur. „Es kann nicht sein, dass der gesamte Sportunterricht über lange Zeit ausfällt.“