Familie Sudic, derzeit in Heumaden untergebracht, hat eine Aufenthaltsgenehmigung bis Februar 2015 Foto: Leif Piechowski

Im Stuttgarter Flüchtlingsheim Heumaden leben viele Roma-Familien aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Der Bundesrat will Abschiebungen in diese Länder erleichtern. Wie lebt es sich mit dieser Aussicht?

Im Stuttgarter Flüchtlingsheim Heumaden leben viele Roma-Familien aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Der Bundesrat will Abschiebungen in diese Länder erleichtern. Wie lebt es sich mit dieser Aussicht?

Stuttgart - Wie viel Geld braucht ein Mensch, um ein menschenwürdiges Leben zu führen? Für Ekrem Haliti ist die Frage in diesem Moment schnell beantwortet: 910 Euro Kaltmiete im Monat. Denn genau so viel kostet die Wohnung in der Gaisburg-straße, Stuttgart-Mitte, die er gerne mit seiner Familie beziehen will. Haliti steht im Büro des Sozialarbeiters Ümit Kepenek im Flüchtlingsheim Heumaden und gestikuliert wild mit den Händen.

Kepenek, Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe AGDW, hat Sprechstunde und versinkt im Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Gerade hat er den Telefonhörer wieder aufgelegt. Das Sozialamt war dran. Und: Nein, 910 Euro, heißt es partout beim Amt, das ginge wirklich nicht. Daran kann nun Kepenek auch nicht rütteln. So gern Haliti das auch hätte. Denn im Grunde ist die Regelung genauso eindeutig wie das Tempolimit auf der Bundesstraße.

400,50 Euro Kaltmiete bezahlt das Amt für einen Ein-Personen-Haushalt, die Beträge steigen je nach Zahl der Bewohner, vier Personen bekommen einen Zuschuss von 710 Euro. Der Sozialarbeiter sagt, dass ihm da leider die Hände gebunden sind. Aber die Zahlen stehen dort schwarz auf weiß vor ihm, auf dem kleinen Zettel.

Ekrem Haliti ist Kosovare. Seine Familie flüchtete damals, weil in seinem Heimatland im Jahr 1999 der Krieg wütete. Sein Schicksal ist ein Kapitel der seit der Wiedervereinigung währenden Asylgeschichte der Bundesrepublik. Dieses Kapitel hieß: Kosovo-Krieg. Derzeit scheinen die Konflikte auf der Welt die Geschichte um einige traurige Kapitel zu erweitern. In einem Asylheim wie im Stuttgarter Stadtteil Heumaden mit mehr als 160 Bewohnern finden sich hinter jeder Zimmertür solche Geschichten.

Der Sozialarbeiter Kepenek kennt beinahe alle, er führt viele Gespräche. Es geht in ihnen immer wieder um Mietobergrenzen, um Zuschüsse und um Anträge. Die Botschaft, die er in den unzähligen, oft zähen Unterredungen mit Flüchtlingen aus den Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina vermitteln will, lässt sich direkter an einem Plakat an seiner Zimmerwand ablesen: „Abschiebungen stoppen!“, steht dort. Und: „Roma haben kein sicheres Herkunftsland.“

Sind Westbalkanstaaten sichere Herkunftsländer?

Verhandelt wird an diesem Freitag im Bundestag auch diese Frage. Denn die Mehrheit der Flüchtlinge, die aus den drei Staaten aus dem Westbalkan nach Deutschland fliehen, gehören der ethnischen Gruppe der Roma an. Von den mehr als 1830 Asylanträgen, die Serben in Baden-Württemberg zwischen Januar und Juli 2014 gestellt haben, sind mehr als 1400 von Roma. Ähnlich hoch ist der Anteil der zwei anderen Länder.

„Wir haben viele Familie in unserem Heim, die aus den Staaten stammen“, sagt Ümit Kepenek. Alle haben einen Asylantrag gestellt und sind somit berechtigt, laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) Geld für die finanzielle Grundsicherung zu erhalten. Kepenek kann sie nicht mehr hören, die Diskussion, in der es um Nutznießer des deutschen Sozialstaats geht. „Letztendlich fließt doch alles wieder in unseren Wirtschaftskreislauf, oder nicht?!“, meint er. Er sagt, es sei die typische Denkweise eines Betriebswirts. „BWLer-Denke“ nennt er das.

Wie schwierig es ist, Vorurteile aufzulösen, zeigt sich im Einzelfall: zum Beispiel an der Roma-Familie Sudic, die zwei Zimmer des Flüchtlingsheims Heumaden bewohnt. Die fünfköpfige Familie aus Bosnien lebt seit November 2013 in Deutschland. Ihr Budget bemisst sich an den Beiträgen des Asylbewerberleistungsgesetzes, das die Sozialhilfe regelt. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2012 ähnelt es den Sätzen für das Arbeitslosengeld II. Aufgedröselt heißt das: Der Vater Haseb erhält 326 Euro, ebenso die Ehefrau Sanela. Der 17 Jahre alte Sohn Ibrahim und die 15-jährige Tochter Irma haben Anspruch auf je 280 Euro. Die jüngste Tochter Amra auf 247 Euro. Macht in der Summe 1459 Euro netto im Monat. Hinzu kommen die rund 80 Euro, die der Vater mit Hausmeistertätigkeiten dazuverdient. Miete zahlen muss die Familie in dem Flüchtlingsheim nicht. Aber sind etwas mehr als 1500 Euro an Unterstützung mit einer Vergewaltigung aufzuwiegen?

Von einem schrecklichen Überfall zumindest berichtet Sanela Sudic, wenn sie nach dem Grund für ihre Flucht aus Bosnien gefragt wird. Vater Haseb will nicht darüber sprechen. Er verlässt das kleine Zimmer. Zwei Betten stehen darin, ein großer Röhrenfernseher, einige Kochtöpfe mit Bohnensuppe. Sanela schenkt dem Gast ein Glas Wasser ein und setzt sich auf einen Stuhl, wie man ihn aus Klassenzimmern kennt. Sobald etwas getrunken ist, füllt sie es wieder bis an den Rand auf. So demonstriere man Gastfreundschaft in ihrem Land, sagt sie.

Flucht in einer Novembernacht

Die Familie lebte bis Ende des vergangenen Jahres in der Stadt Bosanska Krupa im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas. In einer Novembernacht, erzählt die Mutter Sanela Sudic, hätten Soldaten dann plötzlich ihr Haus gestürmt. Sie warfen die kleine Tochter zu Boden, entführten den Mann und vergewaltigen die Mutter. Sie beschuldigten den Mann, Geheimnisse verraten zu haben. Und als Roma hätten sie einen schweren Stand gegenüber dem Militär gehabt. Noch in der Nacht verließen sie ihr Haus. Das Ziel: Stuttgart, weil eine Schwester hier lebt.

Um die Tat zu bezeugen, zieht Frau Sudic ihr Hemd hoch und deutet auf ihren Bauch, der übersät mit Wunden ist. Auf dem Tisch liegt ein Arztbrief. „Frau Sanela Sudic. 24.12.1982. Diagnose F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen. F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung“, ist darauf notiert.

Dringende Arztbesuche wie zum Beispiel bei Psychosen, starken Zahnschmerzen oder Brüchen werden Flüchtlingen bezahlt, sagt der Sozialarbeiter Kepenek. Die Finanzierung für jeden einzelnen Flüchtling regelt das Ministerium für Migration Baden-Württemberg. „Für jeden Flüchtling ist eine Pauschale vorgesehen, die die Finanzierung für die nächsten 18 Monate decken soll“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Derzeit liegt diese Pauschale, die vom Land an die Stadt- und Landkreise geht, bei 12 566 Euro. „Die Pauschale wird im nächsten Jahr auf 13 260 und im Jahr 2016 auf 13 972 angehoben“, so der Sprecher des Ministeriums. Für die Miete sieht der aktuelle Betrag etwas mehr als 2500 Euro vor.

Frau Sudic schenkt das Wasserglas wieder voll. In Bosnien, sagt sie, hätte die Familie einen kleinen Einkaufsladen geführt. In Deutschland bleibt kein Geld übrig am Monatsende. In der Heimat hätten sie keine Geldsorgen gehabt. Das Durchschnittsgehalt in Bosnien liegt bei etwa 350 Euro. Sie kommen zurecht in Deutschland, würden aber gerne arbeiten. Das dürfen sie laut Aufenthaltsgestattung nicht. Die ist befristet bis Februar 2015. Dann droht der Familie die Rückkehr in die Heimat.