Die Aufnahme vom 12. April zeigt Flüchtlinge, die mit ihrem Boot in unmittelbarer Nähe des Frachtschiffes „OOC Jaguar“ auf dem Mittelmeer gekentert sind Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa

Die Reihenhäuser in Weiß, Gelb und blassem Rot muten von weitem wie eine Urlaubersiedlung an. Doch die Unterkünfte befinden sich hinter hohem Stacheldraht und beherbergen Flüchtlinge, die es von Libyen übers Mittelmeer nach Sizilien geschafft haben – ein Besuch im Lager Mineo.

Catania/Mineo - Wenige Stunden vor Beginn des EU-Sondergipfels sind in der sizilianischen Hafenstadt Catania erneut zahlreiche Flüchtlinge angekommen. Ein Schiff der italienischen Finanzpolizei brachte am Donnerstagmorgen 218 Menschen an Land.

Das Patrouillenschiff hatte die Migranten, die in zwei Schlauchbooten unterwegs waren, am Vortag vor der libyschen Küste aufgegriffen. Unter den Ankömmlingen sind vor allem junge Männer. Auch zahlreiche Minderjährige und vier hochschwangere Frauen waren an Bord.

Vom Hafen von Catania aus, wo riesige Kreuzfahrtschiffe Touristenmassen an Land absetzen, damit die das barocke Stadtzentrum erkunden oder einen Ausflug ins mondäne Taormina unternehmen können, sind es nach Mineo nur 54 Kilometer.

Von lachenden Gesichtern ist nichts zu sehen

Doch auf der löchrigen, stark befahrenen Straße braucht man für die Strecke mit dem Auto mehr als eine Stunde. Dort angekommen, weist am Ortseingang ein Schild den Weg zur „Casa di Mineo“. Am Eingang zu dem riesigen Gelände steht ein buntes Schild mit lachenden, fröhlichen Gesichtern.

Doch dahinter ist von solchen lachenden Gesichtern nichts mehr zu sehen. In diesem Auffanglager für illegale Flüchtlinge im Hinterland von Catania, der größten Einrichtung dieser Art in Italien, leben 3241 Bewohner. „Das jedenfalls ist die offizielle Zahl“, sagt Omar. Der Somalier lebt hier seit zwei Jahren und ist an der Organisation des Lagers mitbeteiligt.

„Die Zahl ist deshalb nur offiziell“, erklärt der 28-Jährige, „weil hier immer wieder einige von uns abhauen und versuchen, sich ohne irgendwelche Ausweispapiere durchzuschlagen.“ Wohin? „Ja am liebsten nach Deutschland“, weiß Omar, „denn wir wissen hier doch, dass Italien mit seinen vielen Problemen kein ideales Land für die meisten von uns ist.“

Für Sprachkurse und andere Integrationsmaßnahmen fehlen die Mittel

Der 5000-Seelen-Ort Mineo, unter dessen Namen das Lager in Italien bekannt ist, liegt knapp zehn Kilometer entfernt. Englische Straßennamen wie „Constitution Lane“ (Straße der Verfassung) erzählen von der Vergangenheit als amerikanische Soldatensiedlung im Osten Siziliens.

Für Sprachkurse und andere Integrationsmaßnahmen fehlen die Mittel. Lediglich ein Fußballplatz sorgt für Ablenkung. Wer das Zentrum verlassen will, geht zu Fuß auf der staubigen Landstraße, denn die 2,50 Euro Taschengeld am Tag werden in Form von Marken ausgeteilt. Geld für eine Busfahrt gibt es nicht. Essen gibt es in einer Kantine unter langen Neonröhren auf blauen Tabletts. Schlangestehen vor dem Eingang gehört zum Alltag.

Knapp 100 Millionen Euro sollen die Betreiber des Zentrums für drei Jahre erhalten haben. Wie fast jeder öffentliche Auftrag in Italien steht auch dieser unter Korruptionsverdacht. Überdies wurden vor kurzem mehrere Bewohner des Lagers verhaftet, die die illegale Weiterreise von Flüchtlingen nach Nordeuropa zu einem einträglichen Geschäft gemacht haben sollen.

„Ich wurde geschlagen, um möglichst schnell an Bord zu gehen“

Noch heute sehen die niedrigen Wohngebäude des Lagers gar nicht mal so übel aus. Von weitem betrachtet. Beim näheren Hinsehen jedoch wird erkennbar, wie heruntergekommen alles wirkt. Gewaschene Kleidung hängt überall zum Trocknen aus. Wer etwas zu verkaufen hat, legt es auf Stofftüchern auf der Straße aus, armselig gekleidete Männer stehen zusammen und rauchen und blicken den Besucher skeptisch und furchtsam an.

Unter den Neuzugängen im Auffanglager in Mineo befindet sich auch Z. Seinen kompletten Namen will er nicht verraten. Die Angst steht dem höchstens 18-Jährigen ins Gesicht geschrieben. Er spricht Arabisch. Omar hilft als Übersetzer.

„Ich wurde geschlagen, mit einem Stock und immer wieder, um möglichst schnell an Bord zu gehen“, berichtet Z., „als wir an der libyschen Küste auf das Boot getrieben wurden.“ Vorher hatte er dem Schlepper umgerechnet 800 Euro überreicht. Dafür erhielt er das Recht, auf Deck bleiben zu dürfen und „nicht drinnen eingesperrt zu werden, drinnen bei denen, die dann alle ertranken“.

Zwischen 800 und 850 Personen ertranken

Z. gehört zu den wenigen Überlebenden des Flüchtlingsdramas vom vergangenen Samstag. Er beschreibt den Zusammenstoß mit dem Handelsschiff, das die kaum 30 Überlebenden aufnahm, während zwischen 800 und 850 Personen ertranken. Die meisten davon waren unter Deck von den Schleppern eingesperrt worden. „Das Schreien der Ertrinkenden“, sagt Z., „das war das Schlimmste, was ich je hörte.“

In den Wohnhäusern leben auf 160 Quadratmetern zwölf Personen zusammen. Drei Bäder und Toiletten müssen sie sich teilen. Als bekanntwird – und es spricht sich wie ein Lauffeuer herum –, dass nahe Catania ein Flüchtlingsboot mit rund 400 Personen von der Polizei an die Küste gebracht wurde, herrscht große Aufregung.

„Vielleicht ist mein Vetter an Bord!“, „Vielleicht meine Schwester!“, „Hoffentlich ist mein Vater mit dabei!“, übersetzt Omar einige Kommentare. Die meisten der Insassen des Auffanglagers hoffen auf die Ankunft von Verwandten, von Freunden, mit denen sie ihr Leid teilen können. Eine zumeist unerfüllte Hoffnung.

Das Auffanglager ist brechend voll

Vor allem deshalb, weil das Auffanglager in Mineo brechend voll ist. „Um nicht vom UN-Flüchtlingskommissariat oder Amnesty International kritisiert zu werden“, so Omar, „kommt hier niemand mehr hin.“

Doch wohin mit täglich rund 500 neuen Ankömmlingen von der libyschen Küste? Italiens 29 Auffanglager sind voll. Deshalb will die Regierung in Rom noch in diesen Tagen mit dem Umbau leer stehender öffentlicher Gebäude zu Notauffanglagern beginnen. Die allerdings erst in einigen Wochen einsatzbereit sein werden.

Den Behörden läuft angesichts der Flüchtlingswelle aus Nordafrika die Zeit davon. Italien rechnet in den kommenden Monaten mit Zehntausenden von Flüchtlingen aus Nordafrika. Wo diese Menschen untergebracht werden sollen, weiß niemand. In Mineo sicherlich nicht mehr. Dort ist kein Platz mehr frei.