Warten, Kaffee trinken, Rauchen: Amir lebt seit mehr als zwei Jahren im Asylheim Heumaden Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Kurde Amir Jafar lebt seit mehr als zwei Jahren in einem Asylheim. Gegen die Langeweile raucht er Zigaretten. Er will arbeiten, doch ihm fehlt der Antrieb – das ist nicht allein ihm zuzuschreiben.

Stuttgart - Dann eben noch einen schwarzen Kaffee. Nach der Zigarette. Und dem Tee. Und dann, ja, was soll’s, dann eben auch noch eine Zigarette. Es könnte eine halbe Ewigkeit so weitergehen. Amir Jafar wirft die Hände hinter den Kopf, lehnt sich auf dem Stuhl zurück und blickt auf die weiße Decke seines Zimmers. Da ist – nichts.

Der 28 Jahre alte Kurde lebt seit zwei Jahren und vier Monaten in Deutschland. Das Wort, das er im häufigsten verwendet, ist „normal“. Es könnte arrogant klingen, satt und gelangweilt. Dass er den ganzen Tag die Zeit dazu hat, auf seinem Handy rumzutippen? „Normal.“ Dass er die Leere vor allem mit Rauchen füllt, mit Kaffee- oder Teetrinken, dem Gang zum Discounter? „Normal.“ Zum Mittag die Tütensuppe, Videos im Internet, Sitzen auf der Treppe vom Asylheim, Blicken aus dem Fenster und so weiter: „Normal.“ In Amirs Blick liegt Unsicherheit, seine Augen flirren. „Im Moment Kopf nicht gut“, formuliert der junge Kurde ungelenk. Wie er sich sein Leben idealerweise ausmalt? „Eine kleine Wohnung, arbeiten gehen, abends etwas essen.“ Mehr nicht.

Die Tage gleichen sich

Amir hat den Status einer Duldung. Bürokratisch ausgedrückt ist das „die Aussetzung einer Abschiebung“, ausgestellt von der Ausländerbehörde. Sie erfolgt „aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“.

Im Fall von Amir ist es der Krieg. Er stammt aus dem Norden des Irak. Er selbst nennt sein Heimatland anders: „Kurdistan“, sagt der 28-Jährige. Baquba heißt die Stadt in der Autonomen Region Kurdistan, in der er geboren wurde. In der Stadt leben 500 000 Einwohner, sie liegt ungefähr 60 Kilometer nördlich von Bagdad entfernt. Kurdistan, sagt Amir, das sei seine Heimat.

Ihm fällt es schwer, sich aufzuraffen. Er würde gerne arbeiten, beteuert er immer wieder. Und er könnte es in der Theorie auch, zumindest eine begrenzte Stundenzahl: Das Flüchtlingsheim in Heumaden bietet den Bewohnern eine sogenannte geringfügige Beschäftigung an. 80 Euro können sich die Asylbewerber im Monat durch Hausmeister- oder Aufräumarbeiten dazuverdienen. „Ich will aber eine richtige Arbeit“, sagt Amir. „Nicht eine, die hier im Heim ist. Ich möchte auch rauskommen.“ Momentan erhält er rund 330 Euro Asylgeld vom Staat. Genug, um zu leben. Für viel mehr reiche es aber nicht, sagt er. „Eigenes Geld von eigener Arbeit ist besser.“ Er zündet sich noch eine weitere Zigarette an.

Für den Heimleiter Karl-Heinz Lubotzki sind die Dinge glasklar: „Vielen Bewohnern fehlt der Anreiz zu arbeiten. Das Arbeitsverbot von drei Monaten wirkt auf viele demotivierend.“ Es sei eine gefährliche Spirale: Die Flüchtlinge kommen aus den Erstaufnahmestellen in ein Heim und bekommen hier gesagt, dass sie die nächsten drei Monate nicht arbeiten dürfen. „Viele fragen sich, warum sie dann überhaupt einen Sprachkurs belegen sollen.“

Forderung nach neuer Willkommenskultur

Solche Fragen stellte sich Amir auch. Schlüssige Antworten gefunden hat er nicht: Er hat letztlich gar keinen Sprachkurs belegt. Die ersten Tage im Heim arbeiteten noch die Erinnerungen der Flucht in ihm. „Den größten Teil der Strecke waren wir im Bus, ich uns sechs andere Personen.“ Die Stationen: aus dem Kurdengebiet in die Türkei, weiter nach Griechenland, über das Mittelmeer nach Italien und nach Deutschland. 8000 Euro kostete das. Die ersten Tage im Heim schwirrte ihm der Kopf, er lag einfach nur auf dem Bett, saß gedankenlos dort und starrte in die Gegend.

Amir betäubt die Langeweile mit Nikotin, er lächelt selten. An diesem Nachmittag hat er Besuch. Suleiman Sofian. Sie trinken Tee zusammen. Sie schenken etwas nach. Drehen sich eine Zigarette. Noch einen Tee für den Gast? Zielloses Warten.

Die Forderungen nach einer Willkommenskultur, die Leistung belohnt, häufen sich. „Da liegt vieles im Argen“, sagt der Heimleiter Karl-Heinz Lubotzki. Seiner Ansicht nach gebe es auf dem Arbeitsmarkt durchaus viele Jobs, die von deutschen Arbeitnehmern nur mit spitzen Fingern angefasst würden.

Bewerbung gescheitert

Allerdings sei die Verwaltung „sehr schwerfällig“. „Ein Unternehmer, etwa ein Gastronom, muss zunächst einen Antrag von der Agentur für Arbeit ausfüllen, wenn er einen Flüchtling für sich arbeiten lassen will“, so Lubotzki. Dieses Papier muss der Arbeitgeber an die Ausländerbehörde schicken. Diese leitet ihn nach einer Prüfung weiter zur sogenannten Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. „Hier wird überprüft, ob es nicht einen deutschen Langzeitarbeitslosen für den Job gibt.“ Das dauere Wochen, wenn nicht gar Monate. Ein Zeitraum, in dem der Arbeitgeber meist längst jemanden eingestellt hat. Die Konsequenz: Nach Schätzungen des Flüchtlingsrats bekommt nur jeder 13. Flüchtling, der sich um einen Job bewirbt, diesen auch.

„Das Arbeitsverbot muss endlich komplett fallen“, sagt der Heimleiter Lubotzki. Das fordern immer häufiger auch große Unternehmen. „Und die Wege in den Job müssen direkter verlaufen“, so Lubotzki. Amir hat es einmal versucht. Seither, das sagt er nicht, aber das klingt in seinen lustlosen Antworten an, fehlt ihm die Motivation. Er sitzt nun auf der Treppe vor dem Flüchtlingsheim. Die Sonne macht schläfrig. Er bleibt noch sitzen. Warum aufstehen?