Foto: Filmwinter

Der Filmwinter, Stuttgarts Avantgardefilm- und Medienfestival, verabschiedet das Filmhaus.

Stuttgart - Die Stadt hat viele Leinwände, man muss sie sich nur aneignen, unter diesem Motto bespielt der Filmwinter seit 25 Jahren Stuttgart mit Film- und Medienkunst. Das Festival provoziert alternative Blicke – und hat Maßstäbe gesetzt in Sachen Zwischennutzung.

Collagen, Super-8-Experimente, SchwarzWeiß, Zeitlupe und viel Satire: Der Filmwinter sperrt sich gegen bloßen Konsum, seine Filme wollen erarbeitet werden. Unvergessen, wie einer Dieter Thomas Heck und Rex Gildo über Jahrzehnte in identischen Posen zeigte, Heck (buntes Sakko) moderiert „Fiesta Mexicana“ an, Gildo (bunter Overall) hampelt zum Playback. Nur eines ändert sich: Die Protagonisten altern zusehends. Treffender lässt sich die Tragik deutscher TV-Unterhaltung kaum auf den Punkt bringen.

Auch die Geburt Neuer Medien war beim Filmwinter immer ein bisschen früher zu erleben, der Hype um die Internetplattform Second Life und deren geräuschloses Verschwinden hat das Festival in Echtzeit dokumentiert. Und auch in der Präsentation von Medienkunst hat es eigene Akzente gesetzt.

Ein kleiner Verein namens Wand 5 stemmt das mehrtägige Festival. Wechselnde Macher haben stets Neugier und Offenheit gepflegt, aus der Not eine Tugend gemacht und den Charme des Unfertigen kultiviert, sich als Meister der Zwischennutzung erwiesen.

Von der Villa Gemmingen zum Amerikahaus

Auch Festival-unabhängig wie im Sommer 1997 an der Villa Gemmingen, jenem Kleinod an der Mörikestraße, das die Stadt den Bürgern inzwischen durch Privatisierung entzogen hat. Wand-5-Aktivisten schleppten Leinwand, Projektor und Mobiliar den Hügel hinauf, stellten Stühle ins Zierbassin vor der 1856 erbauten Märchenvilla, entrissen die Räume ihrem Kontext und nutzten sie neu.

Das bewährte sich auch, als der damalige Kulturbürgermeister Wolfgang Schuster das leerstehende Amerikahaus zum Filmhaus machte und es ohne Konzept und Geld hängenließ. Wand 5 deklarierte das triste, von Säulen durchsetzte Erdgeschoss zum „Ballroom“ und gab diesem beim Filmwinter mit erstaunlich einfachen Mitteln Konturen – schon geschmackvolle Raumteiler wirkten Wunder. Hier wurde mediale Zukunft verhandelt, 1999 etwa die heute omnipräsenten virtuellen TV-Studios, bevor sie überhaupt eingeführt waren. Unter Federführung von Ulrich Wegenast, dem heutigen künstlerischen Leiter des Trickfilm-Festivals, entstand ein Konzept für einen „Mediaspace“, doch die Stadt griff nicht zu. Sie verpachtete den Ballroom 2003 lieber an ein Vergnügungslokal namens Bett, das den Spielbetrieb des Kommunalen Kinos störte und dessen Partypublikum keinen Bezug zur Filmkultur erkennen ließ.

Wand 5 hatte längst eine Alternative: 2000 stellte der Filmwinter Medienkunst erstmals im baustellenhaften Ex-Ikea in der Kronenstraße aus. 2003 inszenierten Uwe Kassai und Andreas Vogel dort das Abbild einer TV- Talkshow und führten vor, wieso Menschen vor der Kamera oft mehr preisgeben, als sie eigentlich wollen – eine Filmwinter-Sternstunde. Das Kunstgebäude, der Hauptbahnhof, die Bahnhofsdirektion waren weitere Stationen – und immer wieder auch das totgesagte Filmhaus, dessen Potenzial der Filmwinter 2011 noch einmal eindrucksvoll zum Leuchten brachte, während draußen unter dem Motto „ A Wall Is A Screen“ mit mobilem Gerät Kunstmuseum, Altes Schloss und Schillerdenkmal mit Kurzfilmen bespielt wurden. Nur konsequent, dass Wand 5 nun, zum 25. Geburtstag des Filmwinters, eine „Kaffeefahrt“ zu historischen Festival-Spielorten anbietet, ironisch flankiert von Power-Point-Präsentation und Reiseführer.

Zum letzten Mal im Filmhaus

Der aktuelle Spielort ist ein letztes Mal das Filmhaus, „It’s a boy“ lautet das wie immer um die Ecke gedachte Motto. „Zum Jubiläum braucht man einen Torte, und was springt da raus? In einem Brainstorming fiel der Satz: It’s a boy!“, erklärt schmunzelnd Yvy Heußler von Wand 5. Um Geschlechterrollen geht es also, was auf die Auswahl aber keinen Einfluss hatte: „Wir wählen nach Qualität aus, wir lieben experimentelle, ungewöhnliche, innovative Werke“, sagt Heußler. „Wir haben also nicht Genderspezifisches gesucht, sondern das Vorhandene mottogerecht kuratiert. Es gab ein erstaunlich hohes Tieraufkommen, deshalb haben wir nun auch eine Vorstellung namens ,It’s a dog‘.“

In den oberen Stockwerken residiert die Medien- und Netzkunst. „Face To Facebook“ heißt eine Arbeit von Paolo Cirio und Alessandro Ludovico, die eine Million Facebook-Profile gehackt und in ein fingiertes Dating-Portal überführt haben. „Facebook hat auf Unterlassung geklagt“, sagt Heußler, „und damit seinen Nutzern zu verstehen gegeben, dass ihre Daten gar nicht mehr ihnen gehören, sondern Facebook.“ Zusammengehalten wird das Programm durch Musik. Ein Höhepunkt wird sicher das Konzert des skurrilen Sängers Klaus Beyer, der alle Beatles-Alben auf Deutsch neu aufgenommen hat. 1996 war er schon einmal beim Filmwinter – auf der Leinwand, in einem Dokumentarfilm.

Bis 29. Januar wird die Medienkunst-Schau zu sehen sein, dann ist das Filmhaus Geschichte. Wohin es Wand 5 verschlägt, weiß niemand. „Der Filmwinter hat sich als größtes Medienfestival Süddeutschlands etabliert, auf dieser Reputation können wir aufbauen“, sagt Heußler zuversichtlich. Stuttgart hängt seit der Räumung des Südmilch-Areals (M1, Zapata) 1996 der Ruf an, wenig zwischennutzungsfreundlich zu sein. Aktuell bringt der Abriss der Bahndirektion Kreative in Nöte, auch die Röhre, seit 1985 als Live-Club dauerzwischengenutzt, muss Stuttgart 21 weichen. Die Stadt hat nun die Stelle eines „Leerstands- und Zwischennutzungsmanagers“ ausgeschrieben, der Subkultur und Immobilienvermarkter vernetzen soll. Wand 5 hätte einen Beratervertrag verdient. Wenn die nun heimatlose Initiative die Stadt wieder mit wachem Blick nach kulturell umzudeutenden Spielräumen durchkämmt, darf man sich auf Überraschungen freuen. Wie damals an der Villa Gemmingen.