„Drone Garden“ von Martin Reiche Foto:  

Vom 14. bis zum 17. Januar 2016 findet der Stuttgarter Filmwinter in seiner 29. Ausgabe statt. Als Veranstaltungsorte stehen bereits das Theater Rampe und der Kunstbezirk 34 fest. Eine Einstimmung bietet bereits jetzt die Stadtbibliothek Stuttgart mit Werken des japanischen Animationskünstlers Mirai Mizue.

Stuttgart - Formwandler gibt es ja in der Filmgeschichte so manche: ob die Titelfigur in Woody Allens „Zelig“, der T-1000 in „Terminator 2“, Odo in „Star Trek: Deep Space Nine“ oder die unzähligen Werwolf-Variationen. Mit dem Wandel der Form sowie einer Entfremdung vom eigenen Körper kämpfen in der Pubertät ja auch viele Jugendliche, ein Thema, das Laura Lehmus in ihrem Kurzfilm „AlieNation“ behandelt: Zu realen Interviews mit Jugendlichen haben sieben Animatoren in verschiedenen Techniken Figuren entworfen, mal eher Karikaturen, mal tatsächlich Aliens und Monster von bizarrer Gestalt. Eine perfekte Umsetzung der pubertären Fremdheitsgefühle und ungeheuer witzig.

„Formwandler“ ist auch das Motto des kommenden Stuttgarter Filmwinters. Die 29. Ausgabe des vom Verein Wand 5 veranstalteten Medienkunst- und Experimentalfilmfestivals wird vom 14. bis 17. Januar stattfinden, und „AlieNation“ gehörte zu den Werken, die bei einem Preview in der Bar „White / Noise“ einen Vorgeschmack darauf gaben. „Wir betrachten mit unserem Programmschwerpunkt das Phänomen der Formwandlung in unserem Alltag“, erläutert das Wand-5-Team im Programmflyer. „Sozial, wirtschaftlich und kulturell – unsere Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Prozess der Veränderung, in dem nur eines gewiss scheint: Es gibt keine eindeutigen Zustände mehr.“

Anleitung zum Basteln einer Bombe

Teils anregend uneindeutig sind auch die sechs beim Preview gezeigten Filme, weil sich bei ihnen Genres wie Experimental-, Animations-, szenischer und dokumentarischer Film oder Film-Essays mitunter munter überlappen. Neben Lehmus’ Beitrag bleibt dabei vor allem der Zweiminüter „Alphabet“ des Ägypters Mohamed Allam im Gedächtnis: Ein schwarz maskierter Mann erzählt wie in einer Kochshow das Rezept für eine selbst gebastelte Bombe, für Irritationen sorgen dabei nicht nur die teils absurd wirkenden Zutaten, sondern auch das kitschige Bild einer paradiesischen Landschaft im Hintergrund, über die auch mal eine Rakete hinwegfliegt – eine ironische Verquickung alter ägyptischer Fernsehklischees und aktuellen Terrors, so komisch wie verstörend.

Insgesamt rund 1300 Filme aus aller Welt wurden in diesem Jahr für den Kurzfilmwettbewerb eingereicht, der seit jeher das Herzstück des Festivals sein wird. Neben dem Filmprogramm der zweite Festival-Pfeiler und nicht weniger anregend: die Expanded-Media-Ausstellung, die in den Bereichen „Medien im Raum“ und „Network Culture“ internationale Medienkunst zeigt, die oft politisch brisante Fragen stellt.

So besteht Martin Reiches skulpturale Installation „Drone Garden“ unter anderem aus Mikrocontrollern – kleinen Ein-Chip-Computersystemen –, die in einem Netzwerk um Bandbreite kämpfen. „Es geht dabei um Fragen elektronischer Kriegsführung und Maschinenethik“, so Expanded-Media-Koordinator Marcus Kohlbach, „und um das Bild, dass im Paradiesgarten nicht alles in Ordnung ist.“ Wer sich der Medienkunst ausgiebiger widmen will, hat dieses Mal mehr Zeit: Die Ausstellung geht noch eine Woche über das Festival hinaus.

Programm verspricht spannende Entdeckungen

Für jene, die es kaum noch erwarten können, läuft zur Einstimmung auf den Filmwinter bereits jetzt ein Warm-up-Programm: So zeigt seit Mittwoch die Stadtbibliothek die Ausstellung „Gaze in Wonder“ mit Werken des japanischen Animationskünstlers Mirai Mizue. Faszinierende Reisen in die Welt der Zellen, Farben und Strukturen sind die Spezialität des Japaners, dessen teils auf handgemalten Zeichnungen basierenden Filme auch während des Festivals in einer Retrospektive gewürdigt werden.

Darüber hinaus beteiligt sich der Filmwinter am kommenden Montag, 21. Dezember, am Kurzfilmtag „Filmleuchten“, einem Mini-Festival, das zum nunmehr dritten Mal am kürzesten Tag des Jahres der cineastischen Kurzstrecke frönt.

So spannende Entdeckungen das Programm wieder verspricht, erfreulich unspannend blieb es dieses Mal bei der Standortfrage. Nachdem das Festival in den letzten Jahren immer wieder vagabundieren musste und die Spielorte zuweilen erst kurz vor Beginn feststanden, war dieses Mal lange im Voraus klar, dass wieder wie vergangenes Jahr im Theater Rampe das Filmprogramm und im Kunstbezirk 34 die Expanded-Media-Ausstellung über die Bühne gehen wird. Ein fast schon unglaubliches Maß an Kontinuität, das ruhig noch etwas andauern darf – denn ein neues Stuttgarter Filmhaus dürfte wohl noch einige Zeit Utopie bleiben.