Jede Mittwochnacht legt sich das Zimmermädchen Lynn unter ein anderes Hotelbett Foto: Movienet

Lynn schläft mit Personalmanager Heinz, um ihren Job als Zimmermädchen zurückzubekommen. Sie liegt unterm Bett, als sich ein masochistischer Hotelgast den Hintern versohlen lässt. Sie verliebt sich in Callgirl Chiara, mit dem sie erstmals Ekstase erlebt. Macht das „Das Zimmermädchen Lynn“ zur deutschen Antwort auf „Fifty Shades Of Grey“? Nicht wirklich.

Es geht nicht primär um Sex in der Verfilmung von Markus Orths Roman „Das Zimmermädchen“. Für Regisseur Ingo Haeb ist dieser nur ein Mittel, dessen er sich bedient, um die Entwicklung einer Frau zu erzählen – einer Frau, die sich eigentlich „darüber definiert, was sie nicht sagt und nicht tut“, wie Hauptdarstellerin Vicky Krieps („Die Vermessung der Welt“) bei der Vorpremiere des Films im Stuttgarter Kino Delphi sagt.

Lynn Zapatek geht nach einem längeren Aufenthalt in einer Klinik („Sie haben mich wohl geheilt“) erneut ihrer Tätigkeit als Zimmermädchen nach. Dabei dringt sie nicht nur mit dem Überstreifen fremder Kleider in das Privatleben der Hotelgäste ein: Jeden Mittwoch legt sie sich unter eines der Hotelbetten und verbringt die Nacht im Zimmer – so verschafft sich die isoliert und entfremdet lebende junge Frau ein seltenes Gefühl menschlicher Nähe. Nach der Vorstellung im Delphi sagt Regisseur Haeb, der auch das Drehbuch verfasst hat: „Wenn ich etwas mit Leidenschaft schreibe, hat das immer auch etwas zu tun mit den Grenzen zwischen Menschen.“

Diese verschwimmen, wenn Lynn zusieht, wie eine Bewohnerin des Hotels mit nackten Füßen und rot lackierten Zehennägeln über den Teppich streift und über das soeben erlebte Treffen mit ihrem Verehrer sinniert, oder wenn sie unter dem Bett schläft, während der Hotelgast obenauf auf der Konsole spielt. Sie ist den Gästen körperlich zwar nahe, tritt aber nicht in Interaktionen mit ihnen – ein Spiel von Distanz und Nähe, das sich in den Kameraperspektiven wiederfindet.

Was Lynn in diesen Momenten denkt, was ihr durch den Kopf geht, wenn sie auf dem Boden liegt und unsichtbar am Leben dieser für sie fremden Menschen teilnimmt, erfahren die Zuschauer nicht – genauso wenig wie die Vorgeschichte des Zimmermädchens. Diese wird nicht einmal in den Gesprächen mit dem Therapeuten thematisiert, den Lynn immer dienstags konsultiert.

Die Unnahbarkeit der Protagonistin war es, die Haeb dazu bewogen hat, Orths Roman zu verfilmen: „Mich hat es fasziniert, wie unglaublich einfühlsam der Autor eine sehr merkwürdige Figur beschreibt und ihr dabei das Geheimnisvolle lässt.“ Für Haeb war die Balance zwischen dem Innenleben seiner wortkargen Protagonistin und ihrer Außenwirkung ungleich schwerer. Während Lynns Gedanken in der Romanvorlage in der dritten Person kommuniziert werden, transportiert Vicky Krieps ihre Gefühlslage allein durch Mimik und Körpersprache. Für diese schauspielerische Leistung wurde die 31-jährige Jungdarstellerin mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet.

„Ich habe versucht, Lynn über das Gefühl zu spielen“, sagt Krieps in Stuttgart. „Durch ihren gebückten Gang entsteht eine gewisse Emotionalität, eine tiefe Traurigkeit.“ Mit ihrer Rolle in dem Film möchte Krieps aber auch das Bewusstsein schärfen für Menschen, „für die es nicht einfach ist, in unserer leistungsorientierten Gesellschaft zu funktionieren“. Lynn etwa sei geprägt von einer wahnsinnigen Angst – nur mit Mühe schaffe sie es, ihren Alltag zu meistern.

Halt geben Lynn feste Rituale wie auch eine ausgeprägte Putz-Obsession: Im Eden schaut sie mit einem Spiegel nach, ob sich unter dem Toilettenring noch Flecken finden. Auch zu Hause beschäftigt sie sich – vor dem ersten Treffen mit Callgirl Chiara (wunderbar: Lena Lauzemis) – mit kaum etwas anderem als mit der Reinigung ihrer Möbel. Auf ihrem Laptop laufen derweil Filmklassiker – ein Anhaltspunkt dafür, dass Haeb seinen komplett nachvertonten Film als Fabel, als Märchen verstanden haben will.

Ab 12; von Donnerstag an im Delphi