Monatelanges Training mit Muskelaufbau: Peter Kurth als alternder Boxer in „Herbert“ Foto: Filmschau

Film hat viele Facetten, und der Südwesten bietet sie alle – teilweise in erstaunlicher Qualität. Das hat die 21. Filmschau des Landes gezeigt, die im Metropol-Kino mit vielen Gästen aufwarten konnte. Das Festival hat starke Filme ausgezeichnet und eine Schwäche des Filmstandorts offengelegt.

Stuttgart - Gerade stand Staatsschauspieler Peter Kurth (58) noch auf der Bühne im Kammertheater in René Polleschs Stück „Du weiß einfach nicht, was Arbeit ist“, da gibt er schon im Metropol-Kino Auskunft über einen besonderen Film und eine besondere Leistung. Die Filmschau Südwest zeigt „Herbert“, das Langfilmdebüt des Ludwigsburger Absolventen und Studenten-Oscar-Gewinners Thomas Stuber, in dem Kurth bravourös vor führt, wie die Muskelkrankheit ALS den stärksten Mann umhaut.

„Ich bin ja nicht mehr der Jüngste“, sagt Kurth, „ich wusste: Das ist vielleicht das letzte Mal, dass ich sowas mache.“ Also hat er die Rolle des alternden Boxers angenommen, drei Monate lang hart trainiert und Muskeln aufgebaut, „dass auch ein Rücken da ist“. Mit Muckis, Tätowierungen und Narben sieht er wirklich aus wie einer, der früher ein Champion war und nun für zwielichtige Gauner mit rüden Methoden Geld eintreibt.

Damit ist mit Eintreten der tückischen Krankheit Schluss, und Stuber stürzt das Raubein, das sich stets selbst genügte, in ein Dilemma nach dem anderen: Das junge Box-Talent, das Herbert aufgebaut hat, geht zu einem anderen Trainer, er braucht plötzlich die Hilfe seiner Freundin, die er stets auf Abstand gehalten hat, er sucht die Versöhnung mit seiner Tochter, die er einst einfach hat hängen lassen – und findet eine kleine Enkelin. Stuber hat seinen virtuos montierten Film in drei Abschnitten gedreht, für die sein Hauptdarsteller starke körperliche Wandlungen durchmachte. „Vor dem zweiten Teil habe ich nur Fleisch und Salat gegessen, keine Kohleyhdrate mehr“, sagt Kurth, den zwei Patienten zum Beobachten in ihr Leben ließen, „vor dem dritten habe ich gefastet. Das konnten wir nur chronologisch drehen.“

„Es gibt kein Original!“, glaubt Regisseur Cem Kaya

Applaus für berührende Filmkunst, die am Sonntag im Metropol zum besten Spielfilm gekürt wurde. Der Landesbezug bei diesem in Leipzig gedrehten Werk? Der Filmakademiker Stuber und der Staatsschauspieler Kurth. Der Südwesten sei „kein Kinoproduktionsstandort“, sagte der erfolgreiche Ludwigsburger Produzent Jochen Laube („Kreuzweg“) bei einem Filmschau-Podium, „wir sollten über all die Animation und Effekte den Spielfilm nicht vergessen.“ Berlin und München mit ihren Studios seien die einzigen großen Standorte für Kinoproduktion, erwiderte Carl Bergengruen, Geschäftsführer der MFG-Filmförderung. Des Problems ist er sich wohl bewusst: Man wolle „die Angel auswerfen nach denen, die hier ausgebildet sind“, ein entsprechendes Programm sei in Planung.

Laube hat den Dokumentarfilm „Remake, Remix, Rip-Off“ produziert, in dem Cem Kaya (Filmakademie) die türkische Filmindustrie der 1960er bis 1990er unter die Lupe nimmt – haarsträubendes Trash-Kino mit billigsten Kopien von „Rambo“, „E.T.“, „Star Wars“, Tarzan oder „Superman“, üble Arbeitsbedingungen, ungesicherte Schauspieler in schwindelnder Höhe, Fließbandproduktion bei Minimallohn. Plagiate zum Totlachen sind das, keine Frage, aber Kaya gibt zu bedenken: „George Lucas hat sich für ,Star Wars‘ bei Akira Kurosawas ,Hidden Fortress‘ bedient, bei John Ford und Leni Riefenstahl – es gibt kein Original!“

Den Preis für den besten Dokumentarfilm bekam am Sonntag nicht er, sondern der Schweizer Nicolas Steiner (Filmakademie) für „Above and Below“. Er hat in den USA Menschen aufgespürt, die sich der Gesellschaft entziehen: Rick und Cindy, die in den Kanälen unter Las Vegas leben, wo der „Godfather“ Lalo Streits schlichtet, Dave, der in kalifornischer Ödnis einen verlassenen Bunker bewohnt, April, die mit einem Team in der Wüste von Utah eine Mars-Mission simuliert. In amerikanischen Panoramen stellen sie bekannte Motive auf den Kopf als geisterhafte Pioniere, Cowboys, Freiheitskämpfer.

Gudrun Landgrebe setzt federleicht die Aura einer echten Diva ein

Auf dem Zukunftsfeld Animation ist die Region Stuttgart in Deutschland führend. In Elena Walfs nun prämiertem Film „Some Thing“ messen sich seltsame Monster, in deren Schlünden Farbe wogt, Feuer lodert, Goldzähne plingen – doch ein kleinerer, zunächst verlachter Artgenosse hat am Ende die Nase vorn. Walf trägt in der künstlerischen Handschrift einer Meisterschülerin den Geist ihres Mentors weiter: Sie hat bei Andreas Hykade („Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“) am Ludwigsburger Animationsinstitut gelernt, und der ist auf dem besten Weg, eine bildgewaltige, stilistisch klar unterscheidbare Stuttgarter Animationsschule zu etablieren.

Mit einem starken Filmjahrgang hat die Filmschau wie 2014 rund 3000 Zuschauer angelockt – mit Luft nach oben wie beim deutschen Spielfilm, den stark das Fernsehen dominiert. „Endstation Glück“ heißt eine unterhaltsame Komödie des SWR und der ARD-Produktionsgesellschaft Degeto, die am Samstag das Metropol 1 mit vergnügten Damen füllte. Drei sehr unterschiedliche Frauen ziehen da in eine Best-Ager-WG in einem alten Bahnhof im Schwarzwald, und zwei Überqualifizierte zeigen, welches Potenzial der Stoff hätte, wenn man ihn im Ernst zu Ende dächte, schriebe, inszenierte.

Gudrun Landgrebe, der „Die flambierte Frau“ (1983) nachhängt, setzt federleicht die Aura einer echten Diva ein als alternde Tänzerin, die aus der großen Welt heimkehrt – und achtet dabei stets darauf, nicht alles andere zu überstrahlen. Auf Augenhöhe begegnet ihr Gunnar Möller, dem „Ich denke oft an Piroschka“ (1955) nachhängt: Er erinnert ein wenig an Loriot, wie er als Schöngeist die Filmtochter mit der Verachtung straft, die dieser generell für leichte Muse hegt. Beide sind angereist, bekommen im Metropol großen Applaus und hätten es verdient, auf der großen Leinwand in Filmen zu erscheinen, die für diese gemacht sind. Gerne in Baden-Württemberg.