Adèle Haenel und Lars Eidinger in „Die Blumen von gestern“ Foto: Filmschau

Rock’n’Roller, klassische Künste, Online-Spieler: Die Filmschau des Landes hat auch 2016 einiges geboten. Entscheidende Impulse kommen nach wie vor von der Filmakademie.

Stuttgart - Chris Kraus hat den Baden-württembergischen Filmpreis verdient allein für den Mut, dem Holocaust mit Humor zu begegnen und doch mit allem Respekt. Viel verdankt Kraus der Französin Adèle Haenel, die als traumatisierte Spätgeborene Lars Eidingers neurotischen Holocaust-Forscher auf Trab hält. Darstellerpreise aber gibt bei der Filmschau nicht, schon die existierenden Preisgelder eher symbolischer Natur – Kraus bekommt 2000 Euro vom seit Jahren treuen Stifter Dr. Hauschka Naturkosmetik.

Indirekt mit dem Holocaust zu tun hat auch Carl Laemmle aus Laupheim, der hunderte deutsche Juden vor dem Nazi-Regimes bewahrte, indem er ihnen US-Visa besorgte. „Dracula“, „King Kong“ und „Frankenstein“ gehen auf das Konto des Filmproduzenten und Hollywood-Erfinders Laemmle. Sie alle singen ihm ein Ständchen in einem Clip, den das Ludwigsburger Animationsinstitut gemacht hat für die große Schau im Haus der Geschichte, die am 9. Dezember eröffnet wird.

In den 1920ern lockte Laemmle den Stuttgarter Regisseur Paul Leni nach Hollywood. Dessen stumme Theater-GruselKomödie „The Last Warning“ (1929) ist am Samstag im Metropol-Kino zu sehen, in neu restaurierter Fassung und mit Live-Begleitung. Ein Ensemble schrulliger Theater-Gestalten sucht da den tödlichen Spuk im eigenen Haus, so wie parallel in einem Ludwigshafener „Tatort“ an einer pfälzischen Mundart-Bühne – die Maschinerien, Winkel und Masken des Theaters haben ihren Reiz als Filmkulisse behalten.

Thorsten Schütte hat Frank Zappa ein Denkmal gesetzt

Auch mancher Rock’n’Roller entdeckt klassische Künste: Ex-Tierschauler Michael Gaedt hat in Zwingenberg die Oper „Der Freischütz“ inszeniert. „Das war meine erste Regie und meine erste Berührung mit Oper überhaupt“, sagt der Komödiant bei der Filmschau, wo die Dokumentation gezeigt wird. Als Rummelplatz ist der Spielort dekoriert, auf dem auch ein Hausmeister mit Klopapier herumgeistert – da habe er gleich an einen Kalauer gedacht, gesteht Gaedt: „Der verteilt in der Oper die Rollen.“

Einem anderen Rock’n’Roller, der schon als Teenager Orchestermusik schrieb, hat Thorsten Schütte ein Denkmal gesetzt: Der Studienkoordinator an der Filmakademie zeigt den Bürgerschreck Frank Zappa, der in den 1960ern als Plakatmotiv auf dem Klo sitzend um die Welt ging, und den Komponisten Zappa, der um Anerkennung ringt. Schütte hat aus Konzerten, TV-Sendungen und Interviews ein Zappa-Standardwerk destilliert, in dem er dem intelligenten Querkopf erstaunlich nahekommt.

Ein weiterer Höhepunkt der Filmschau: „Offline“, eine schwungvolle Komödie mit Witz und Tiefgang von ehemaligen Filmakademikern, allen voran Regisseur Florian Schnell (Lörrach), Drehbuchautor Jan Cronauer (Stuttgart) und Produzent Benjamin Munz (Ludwigsburg).

Ist die gezeigte Landschaft real – oder digital nachbearbeitet?

Der Film handelt vom Online-Rollenspieler Jan, der die Schule schleifen lässt für einen Wettkampf in der Fantasy-Welt – doch ein Hacker stiehlt seinen Avatar und den seines Mitstreiters. Die Polizei hilft nicht, die Spielefirma blockt und Jans Mitspieler entpuppt sich als Karo, ein hyperaktives Mädchen mit blauen Haaren. Die bringt den verstockten Nerd auf Trab, während sie durch die schwäbische Pampa und ihre verqueren jugendlichen Emotionen stolpern auf der Suche nach dem Hacker.

„Nicht trist, grau, typisch deutsch“ sollte sein Film werden, sagt Schnell im Metropol 1, „sondern lustvoll, bunt und gleichzeitig brisant“, und das ist ihm gelungen. Vier Millionen hätte der Diplomfilm eigentlich gekostet, deutlich unter einer blieb er – weil das gesamte Team viel Herzblut investiert und eine Spielefirma das Profi-Fantasy-Game-Szenario gratis beigesteuert hat.

„Habt ihr die Landschaften gebaut, oder gibt es die wirklich?“, möchte eine Zuschauerin wissen und meint die reale, schön ins Bild gesetzte Szenerie zwischen Stuttgart und Urach. Bewegten Bildern traut man nicht, seit sie am Computer beliebig manipuliert werden können. Dabei handelt „Offline“ gerade auch von der Wiederentdeckung der analogen, haptischen Wirklichkeit.