Mit Video-Umfrage - Schon lange hat kein Film mehr solche Erwartungen ausgelöst wie „Fifty Shades Of Grey“. Jetzt läuft das Erotikdrama, das Sam Taylor-Johnson nach den gleichnamigen Romanen drehte, ins Kino und wirft die Frage auf: Geht es um einen Kulturwechsel – oder nur um ein bombastisches Geschäft?

Über 100 Millionen Exemplare der Trilogie „Fifty Shades Of Grey“ wurden bislang weltweit verkauft, der erste Teil des Werks von E. L. James war in Großbritannien das am schnellsten verkaufte Taschenbuch aller Zeiten – noch vor „Harry Potter“. Zehn Millionen Deutsche, hauptsächlich Frauen, haben das Buch gelesen. 450 000 Kinokarten wurden hierzulande im Vorverkauf erworben, weltweit sind es über drei Millionen. Im Roman und Film begegnen sich die 21-jährige Anastasia (Dakota Johnson) ohne sexuelle Erfahrung und ein ausgebuffter 27 Jahre alter Milliardär (Jamie Dornan), der schon alles ausprobiert hat. Beide tauchen in eine Liebe ein, zu der ganz realer körperlicher, peinigender und deshalb lustvoller Schmerz gehört. Schuld daran sind Bondage-Praktiken. Der englische Begriff heißt „Unfreiheit“, „Knechtschaft“ und wird für sadomasochistische Handlungen benutzt, allen voran Fesselspiele.

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Warum treibt das Heerscharen von Zeitgenossen um? In New York, wo der bis vor kurzem streng geheime Film am Wochenende Premiere feierte, mussten Sicherheitskräfte eingesetzt werden, um die herandrängende Masse zu stoppen. Schwarzes Leder hat Faszination. Klammern für die Brustwarzen sind Aufreger. Peitschenklatschen weckt voyeuristischen Grusel. Und in allem scheinen geheime Sehnsüchte aufzuflackern. Das sexuelle Experiment ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, von fast allen akzeptiert, von vielen begehrt. In der Geschlechterbegegnung wird der Thrill gesucht.

Krempelt Sadomasochismus die Rollenbilder um?

Und die Soziologin liefert die Erklärung dazu. Eva Illouz schrieb ein Buch zur „neuen Liebesordnung“, angeregt von „Shades Of Grey“-Spektakels. Darin zeigt sie die Widersprüche und ungeklärten Machtfragen von Frauen und Männern, aber auch ihre Lösungen. Sadomasochismus kremple die Rollenbilder um, lange geheim gehaltene Wünsche polygamer Frauen fänden mehr Erfüllung, männliche Begierden ebenso. Aktuelle Bezüge machte auch die deutsche Jury für Film- und Medienbewertung aus: „Welche Träume und Sehnsüchte, aber auch Realitäten Beziehungen in unserer Gegenwart beeinflussen, darüber lässt sich anhand des Films trefflich diskutieren.“ Und vergab zum Kinostart das Prädikat „wertvoll“.

Wer genauer hinschaut, erkennt, dass hier nicht nur ein Kulturwechsel, sondern vor allem ein bombastisches Geschäft läuft. Es gibt viele, die daran mitverdienen und deshalb sehr interessiert sind, dass mediale Feuer am Lodern zu halten. Die erotische Erzählung, stets eine Nische, hat der Verlagsbranche sehr viel Geld gebracht. Dem Roman der britischen Autorin E. L. James folgten Trittbrett-Titel. Einige sind härter geschrieben als der „Mommy Porn“ der früheren Fernsehproduzentin, treffen aber nicht den Ton, den James entwickelt hat. Es darf brutal sein, aber in Liebe gebettet.

Auch der Pop profitiert. Endlich können seine weiblichen Ikonen das in ihre Texte legen, was bisher nur Männer als Subtext mitlaufen ließen. Der Soundtrack des Films stammt von Beyoncé Knowles, einer Schwerverdienerin im kommerziellen Geschäft, die ihren Song „Hunted“ neu auflegte. Bei Auftritten erscheint sie als Kunstprodukt. Aber ihre Stimme ist raffiniert erotisch.

„Pretty Woman“-Romantik mit „9 ½ Wochen“-Erotik-Touch

Auch die Sexspielzeugindustrie hat mächtig zugelegt in den letzten Jahren. Die Produktion von „Smartballs“ oder „Liebeskugeln“ wurde um 300 Prozent gesteigert. Sie werden gekauft, obwohl viele nicht wissen, wozu sie gut sind; im Internet zeigt sich viel Ratlosigkeit. Die intravaginalen Kugeln sollen den Beckenboden stärken und die sexuelle Erlebnisfähigkeit erhöhen.

Casanova, de Sade, aber auch Erica Jong und Shere Hite haben Macht und Unterwerfung in der Sexualität lange vorher thematisiert. Nun ist das auf breiter Front angekommen. Was die Literatur nicht schaffte, hat der Kapitalismus geregelt: Wir müssen nun geil sein, es gehört dazu – und gilt auch als Kunst. Aber schafft sie mehr Befriedigung?

Und der Film selbst? Zwei Stunden dauert das Werk. Bis es zur Sache geht, heißt es erst mal warten. Um ihre erkrankte Mitbewohnerin zu vertreten, übernimmt Anastasia (Dakota Johnson, die Tochter von Melanie Griffith) den Interview-Termin beim ebenso reichen wie gut aussehenden Unternehmer Christian Grey (Jamie Dornan). Unsicher stolpert sie durch die Türe und fällt dem Milliardär und Gentleman gleich vor die Füße. Galant reicht der ihr einen Bleistift, weil sie nichts zu schreiben dabeihat – beim ersten Interview für die Studentenzeitung darf man schon ein bisschen nervös sein.

„Sind Sie schwul?“, liest sie verdattert die Fragen ihrer Freundin vom Blatt. Nein, das ist er nicht, der Christian, dafür spontan angetan vom unschuldigen Charme seiner Besucherin. Schon kurz danach wird er sie bei ihrem Aushilfsjob in einem Heimwerkermarkt überraschen, um Kabelbinder und Seile zu kaufen. Später errettet er die volltrunkene Studentin aus misslicher Lage bei ihrer Abschlussfeier und wird sie im Hubschrauber brav nach Hause fliegen.

40 Minuten braucht das Herz-Schmerz-Drama, bis Herr Grey die Hosen fallen lässt: Er zeigt ihr seinen luxuriösen Sadomaso-Salon und bittet sie, seine Sex-Sklavin zu werden. Ein etwas unmoralisches Angebot, zumal für eine Jungfrau. Von diesem Status immerhin kann die schwer Verliebte nun endlich befreit werden. Beim ersten Mal gibt’s fürs Publikum nackte Brüste sowie einen nackten Mann von hinten – dann wird züchtig abgeschwenkt. Auch später, als nach 90 Minuten der erste kleine Peitschenhieb fällt, herrscht dezente Parfümreklame-Ästhetik vor. Während der Herr gerne seine Jeans anbehält, nutzt die Dame ihr Knie als Sichtschutz vor Zuschauerblicken. Viel Zeit verbringt der Film mit dem Aushandeln des Sex-Vertrages oder den Traumata des Milliardärs, der das Kind einer cracksüchtigen Nutte war und als 15-Jähriger missbraucht wurde. Auffallend oft rollt eine deutsche Nobelkarosse durchs Bild, selbst auf der Lederjacke des reichen Frauenschwarms prangt gut sichtbar noch diese Marke.

Filmkritik: Unser Fazit zu "Shades of Grey"

Schlecht ist dieses Liebesdrama freilich keineswegs: kurzweilig erzählt, hübsch bebildert und recht gut gespielt. Ein bisschen „Pretty Woman“-Romantik mit eher harmlosem „9 ½ Wochen“-Erotik-Touch. Der große Rummel dürfte sich bald gelegt haben.