Der Bub Ernst (Ivo Pietzcker) wird vom Arzt Veithausen (Sebastian Koch) in „Nebel im August“ gemustert – und zur Ermordung vorgesehen. Foto: Studiocanal

Nicht nur in den Konzentrationslagern haben die Nazis gemordet, auch in Kliniken und Heilanstalten. Kais Wessels Spielfilm „Nebel im August“ erzählt davon, wie Ärzte und Pfleger im Dienst eines irren Rassenwahns ihre Patienten in der Psychiatrie umbrachten.

Stuttgart - Himbeersaft. Schon in kleinen Mengen getrunken, führt er den Tod herbei – denn hinter seiner Süße haben Mörder bittere Barbiturate versteckt. Auf diese Weise und mit anderen Methoden wurden in Nazi-Deutschland zwischen 1939 und 1944 „unwerte Ballastexistenzen“ aus der Gesellschaft geschafft, wurde die „Reinigung“ der arischen Rasse durch die Ermordung von 200.000 Menschen angestrebt. Und das unter Mitwirkung von Vertretern beider christlicher Konfessionen: „Die Verzerrung des menschlichen Antlitzes dem Schöpfer zurückgeben“, umschrieb man die Mordkationen salbungsvoll.

Mit „Verzerrung“ war Leben gemeint, das durch wiederkehrende Spasmen, cerebrale Anfälle oder Grenzdebilität gestört ist. Manchmal reichte als Diagnose aber auch, aus dem falschen Volk zu stammen, so wie der 13-jährige Ernst Lossa: Ein kluger, aufgeweckter, unangepasster Knabe, Sohn eines fahrenden Vaters, der 1944 in der psychiatrischen Anstalt in Kaufbeuren ermordet wird. Der im Fernsehen viel beschäftigte Regisseur Kai Wessel, von dem im Kino zuletzt das Knef-Biopic „Hilde“ (2009) zu sehen war, stellt diese Lebensgeschichte nach dem Buch von Robert Domes im erschreckend dokumentarisch wirkenden Spielfilm „Nebel im August“ dar.

Handlungsort ist eine psychiatrische Anstalt in Bayern. Kinderköpfe streichelnd, gütige Worte sprechend, geht der ärztliche Direktor durch die Schlafsäle. Sebastian Koch spielt diesen Mediziner mit Sanftmut und Diplomatie, als einen von der wissenschaftlichen Rechtmäßigkeit seiner grausamen Entscheidungen Überzeugten. Koch zur Seite steht Henriette Confurius als „Todesengel“ Edith, eine schöne, eiskalte Frau in Schwesterntracht. Fritzi Haberlandt ist Schwester Sophia. Erst ahnend, dann wissend, sucht die zu retten, was nicht zu retten ist. Haberlandts großes, sensitives Spiel trifft auf das Talent des Jungdarstellers Ivo Pietzcker. Als Hauptdarsteller trägt er den Film, wird als neuer Anstaltsinsasse Ernst zum Helfer, tröstet, lebt Hoffnung, weckt beim Zuschauer stärkstes Mitgefühl und Entsetzen.

„Wie war die Hölle möglich?“ Diese Frage lässt sich nicht beantworten. Aber Kai Wessel klärt auf: Über die milde Bestrafung der Anstaltsleiter nach dem Zusammenbruch des Nazi-Systems, über die Naivität von Eltern, die ihre behinderten Kinder „in besten Händen“ glaubten, über Wissen und Mithilfe so genannter Moral-Theologen. „Nebel im August“ ist ein Film in unaufgeregtem Erzählstil, der heftigste Emotionen weckt.

Nebel im August. Deutschland, Österreich 2016. Regie: Kai Wessel. Mit Ivo Pietzcker, Sebastian Koch, Fritzi Haberlandt. 126 Minuten. Ab 12 Jahren.