Alma (Anna Castillo) spürt den Schmerz ihres Opas Ramón (Manuel Cucala). Foto: Verleih

An einem kleinen Beispiel erzählt die spanische Regisseurin Icíar Bollaín von den tiefen Konflikten Europas. Ein deutscher Konzern hat einer spanischen Bauernsippe einen alten Baum abgekauft und in die Firmenzentrale verpflanzt. Das empfinden manche als Verlust der Seele und Sieg der Kaltherzigkeit.

Stuttgart - Genoptimierte Agrarfarmen sehen anders aus. Die knorrigen alten Olivenbäume, die sich in Icíar Bollaíns Spielfilm „El Olivo“ aus trockener spanischer Erde erheben, sind schwerer mit Symbolik als mit Früchten beladen. Ihr schrundiges Äußeres erzählt von der Notwendigkeit der Geduld, vom Überlebensvorteil der Bescheidenheit, vom Unabdingbaren tiefer Verwurzelung. Ramón (Manuel Cucala), der alte Mann, dem die Bäume gehören, ist ihr ebenbürtiges Spiegelbild. Man könnte auch sagen, er sei der Inbegriff großstädtischer Vorstellungen einer magischen rustikalen Erdverbundenheit, eines harschen Paradieszustands, in dem der Mensch im Schweiße seines Angesichts pflegender Partner der Schöpfung bleibt.

Seiner Enkelin Alma (Anna Castillo) hat Ramón viel von seinem Wesen vermitteln können, aber andere in der Familie sind weniger wertefest. Die roten Zahlen der Bilanzbücher schieben sich vor ihren Blick, und so verkaufen sie den ältesten Baum, mehr mythologische Weltenesche als schlichtes Plantagengewächs, an einen deutschen Konzern. Der braucht ein starkes Symbol für sein Wirken, doch „El Olivo“ lässt keinen Zweifel an der Natur dieses Geschäfts. Der Baum steht nun nicht mehr in Würde für das, was eine Gesellschaft prägt, er wird Instrument einer Lüge. Was niemanden überraschen dürfte: Alma wird immer zorniger und bricht schließlich nach Deutschland auf, um den Baum heimzuholen.

Süden gegen Norden

Das Drehbuch zu „El Olivo“ stammt von Paul Laverty, der seit „Carla’s Song“ aus dem Jahr 1996 dem Briten Ken LoachDrehbücher liefert. Loach und Laverty, die Film als Waffe im Kampf um eine bessere Welt begreifen, scheuen sich http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.ken-loach-im-interview-man-kann-nur-wuetend-sein.e154721d-3535-4663-89fb-adcacdbbebc1.html nicht, die Konflikte einer Geschichte auf griffige Gut-Böse-Konfrontationen zu reduzieren. Auch Bollaín fordert wie schon in ihrer ersten Zusammenarbeit mit Laverty, „Und dann der Regen“, eine eindeutige Stellungnahme vom Zuschauer.

„El Olivo“ stellt ein armes, aber menschliches, naturverbundenes und von Familienstrukturen und Solidarität geprägtes Europa des Südens gegen ein deutsch bestimmtes, kaltschnäuziges, zynisches, entfremdetes Europa der Profitpriorität. Das lässt den Charakteren wenig Chancen, über Strichmännchentiefe hinauszukommen.

Aber Bollaín und ihr Team ringen dem simplen Konzept dauernd starke Kinobilder ab, Szenen eines hässlichen Gewinnlerwohlstands in Spanien, einer arroganten Machtkultur der Finanzwirtschaft, eines sich formierenden Volkszorns. „El Olivo“ ist also durchaus sehenswert, denn aus aller hier vernachlässigten Komplexität der Welt filtern sich manchmal eben doch klare Fragen heraus. Wie die, ob wir einen Baum stehenlassen oder herausreißen sollen.

El Olivo – Der Olivenbaum. Spanien, Deutschland 2016. Regie: Icíar Bollaín. Mit Anna Castillo, Manuel Cucala, Javier Gutiérrez, Pep Ambrós. 99 Minuten. Ab 6 Jahren.