Pauline (Isabelle Carré) schlägt sich als Alleinunterhalterin durch – gegen ihren Mangel an Selbstbewusstsein helfen die Jobs nicht. Foto:Neue Visionen Foto:  

Wie das Leben so spielt: Durch einen Unfall findet eine unsichere 39-Jährige in dieser herrlich leichten französischen Komödie zu sich selbst. Auch wenn es dazu noch Wohnungseinbrüche und andere Grenzüberschreitungen braucht.

Stuttgart - „Ich? Ich bin niemand“, sagt Pauline, als sie längst eine Heldin ist. Die fragende Krankenschwester weiß es, der kleine Arsène weiß es, alle Zuschauer wissen es – nur Pauline selbst möchte es immer noch nicht glauben. Dabei hat sie schon einen weiten Weg zurückgelegt für eine, die sich selbst mal als „beinahe professionelle“ Geigerin bezeichnet hat und mal mit Freud’schem Versprecher als „animatriste“ (triste = traurig) statt als „animatrice“ (Animatorin).

Tatsächlich ist Pauline zu Beginn bemitleidenswert. Mit 39 bekommt sie keine richtigen Engagements als Geigerin und hält sich über Wasser, indem sie im Darth Vader-Kostüm auf Kindergeburtstagen Rasselbanden bespaßt oder im Bananen-Outfit einen Club frustrierter Senioren aufzuheitern versucht. Allein ist sie auch noch, als sie zu allem Überfluss aus Versehen den armen Fabrice ins Koma schickt, der ob ihrer Kostümierung vor Schreck in ein Loch fällt.

Pauline ruft einen Krankenwagen, macht sich aber aus dem Staub. Von Schuldgefühlen angenagt besucht sie den Unbekannten fürderhin täglich im Krankenhaus – und nistet sich nach und nach in seinem Leben ein. Pauline springt für ihn als Musiklehrerin ein, sie dringt in seine Wohnung ein, versorgt seinen Hund und bald auch den kleinen Sohn Arsène.

Zwei Seelen in einer Brust

Eigentlich ist das ein Plot für einen Psycho-Thriller, und Marie Belhomme lässt es auch ein klein wenig kitzeln in ihrem Spielfilmdebüt, wenn Pauline eine Grenze nach der anderen überschreitet – ohne freilich je den geringsten Zweifel zu lassen, dass die Ungelenke reinen Herzens ist und tatsächlich nur helfen will.

Die slapstick-begabte Isabelle Carré („Die anonymen Romantiker“) gestaltet die nicht ganz einfache Rolle virtuos, durchgehend lässt sie simultan zwei Seelen in Paulines Brust schlagen. Während sie einerseits mit hängenden Schultern resignative Erstarrung signalisiert, strahlt zugleich immer das lebenslustige Energiebündel durch, das Pauline eigentlich sein möchte.

Herzzerreißend spielt sie dem Koma-Patienten auf der Geige vor, ein wenig wacklig, aber mit viel Gefühl, sodass es trotz schräger Töne anrührt. Sie recherchiert die Identität ihres Opfers im Netz, hängt aber noch eine Abreißanzeige aus Papier an eine Straßenlaterne wie all jene Zwischenwesen, die das Digitale zwar nutzen, aber noch tief im Analogen verwurzelt sind. Sie möchte die Maus in ihrer Wohnung fangen, dieser aber auf keinen Fall wehtun. Sie geht mit dem schlauen Arsène für sein Referat ins Planetarium und macht herrlichen Quatsch mit ihm. Und sie nähert sich dem Patienten mitunter mehr, als es eigentlich geboten wäre – was freilich den Ausschlag geben wird.

Ein Chanson über Zweifler

Marie Belhomme ist eine wundervolle Hommage gelungen an all jene Selbstzweifler, die ihr Ego zurücknehmen zu Gunsten der Menschlichkeit. Dabei bedient sie sich starker Motive: „Sie sind ein Siegertyp!“, ruft Pauline dem komatösen Fabrice zu, und es ist die reine Selbstbeschwörung. „Die Leere treibt uns an“ steht auf einem Post-it, das sie in Fabrices Wohnung findet, und die Musikschüler singen „Les gens qui doutent“, ein exakt passendes Chanson über Zweifler.

„Ich? Ich bin niemand“, sagt Pauline, als nur noch sie selbst glaubt, keine Heldin zu sein – wie so viele reale kleine Helferlein des Alltags, denen sozialer Status und Selbstvermarktung nichts bedeuten, die aber das Richtige tun, wenn es darauf ankommt.

Die fast perfekte Welt der Pauline. Frankreich 2016. Regie: Marie Belhomme. Mit Isabelle Carré, Philippe Rebbot, Carmen Maura. 78 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.