Auch Gabo Ferro (l.) und Luciana Jury müssen in der eher sterilen Studiosituation auftreten. Foto: Concorde Filmverleih

Argentiniens Musikkultur hat mehr zu bieten als den Tango. Der spanische Regisseur Carlos Saura stellt in seinem Dokumentarfilm andere Stile und Traditionen vor. Leider nur im Studio und nicht in den Kaschemmen.

Stuttgart - Der deutsche Titel von Carlos Sauras neuestem Film „Argentina“ ist dazu geschaffen, falsche Erwartungen zu wecken. Schließlich verbindet man hierzulandemit Argentinien außer Fußball und Rinderzucht vor allem eines: den Tango. Doch diese am Rio de la Plata entstandene Kultur ist dieses Mal nicht das Thema des spanischen Regisseurs, den „Carmen“ 1983 berühmt machte. Der Originaltitel „Zonda. Folclore argentino“ stellt klar: Nach „Flamenco“ (1995), „Tango“ (1998) und „Fados“ (2007) geht es auch hier um Rhythmus, Gesang und Tanz, aber um die weit weniger populäre südamerikanische Folklore.

Wie schon für seine Tango-Hommage hat Saura im Hafenviertel La Boca von Buenos Aires eine Fabrikhalle in ein Filmstudio verwandelt, um seinen Musikern und Tänzern dort eine Bühne zu geben. Gespielt wird Zonda – benannt nach einem staubigen Föhnwind aus dem Norden –, Chacarera aus der Gegend um Santiago del Estero, Chamamé aus der Provinz Corrientes und anderes mehr.

Mal frei, mal geduckt

Den Auftakt aber macht ein Klavier. Beim Stimmen der Saiten schaut die Kamera dem Flügel tief in den Klangkörper. Dass Saura Sohn einer Pianistin ist, hat offensichtlich Spuren hinterlassen. Später wird eine Chacarera an einem präparierten Piano erklingen: Folklore kann so frei und modern anmuten wie Jazz.

Ansonsten gilt Sauras Augenmerk ganz den Menschen, die für Rhythmus, Klang und Bewegung sorgen: ohne Noten, allein mit Stimme, Instrumenten und Körpereinsatz. Die Kamera von Félix Monti kommt den Musikern sehr nah, fängt ihre Emotionen ein und eine Schönheit, die entsteht, wenn Menschen sich in ihrem Tun verlieren. Und sie umkreist die Tänzer, als wolle sie mit ihnen Schritt halten.

Doch zweimal duckt sie sich bedeutungsschwer: vor den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Mercedes Sosa und Atahualpa Yupanqui. Kniefälle, die fast religiös wirken, zumal sie die Dokumentation in drei Teile gliedern, quasi zum Triptychon machen. Schade auch, dass Saura das Studio nie gegen eine Kaschemme und das echte Leben tauscht. So macht „Argentina“ zwar Lust auf die argentinische Folklore, erzählt aber so gar nichts über ihre Wurzeln und ihre aktuellen Protagonisten.

Argentina. Argentinien 2016. Regie: Carlos Saura. Dokumentarfilm. 89 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.