Szene aus „Son of Saul“ Foto: ad vitam

Den beklemmendsten Beitrag des Festivals lieferte der Ungar László Nemes mit seinem Debüt „Son Of Saul“.

Brave Coens

Mit innovativen Kinostreichen wie „Fargo“ oder „No Country Of Old Man“ haben die Regie-Brüder Joan und Ethan Coen sich einen exzellenten Namen für innovatives Kino gemacht. In Cannes residierten die Regie-Brüder als Präsidenten der Jury – und verteilten den Preiskuchen überraschend brav und vorhersehbar. Die Palmen des weltweit wichtigsten Filmfestivals gingen fast alle an politisches Kino.

Ein Spiegel der Programmatik: Statt üblichem Glamour oder Popcorn-Unterhaltung gab es zur Eröffnung mit „La tête haute“ (Aufrecht gehen) ein bitteres Sozialdrama um eine engagierte Jugendrichterin, die einen Kleinkriminellen auf den rechten Weg bringen will. Das Werk lief außer Konkurrenz, die Regisseurin Emmanuelle Bercot kam dennoch auf das Siegertreppchen, spielte sie doch auch die Hauptrolle im Beziehungsdrama „Mon Roi“ ihrer Kollegin Maïwenn Le Besco. Die Schauspiel-Palme teilt sich die Französin mit Hollywood-Star Rooney Mara, die in der Patricia Highsmith-Verfilmung „Carol“ durch eine höchst verführerische Cate Blanchett die lesbische Liebe entdeckt.

Die bitteren Seiten

In der Herrenriege hatten viele auf Michael Caine gesetzt, der in Paulo Sorrentinos überschäumendem Senioren-Opus „Youth“ eine Meisterleistung als philosophierender Künstler in der End-Life-Crisis liefert. Den Zuschlag aber bekam der Favoriten-Konkurrent Vincent Lindon. Der französische Star, einst mit Caroline von Monaco liiert, tritt im Sozialdrama „Das Gesetz des Marktes“ als arbeitsloser Familienvater auf, der bei der Jobsuche verzweifelt um das letzte Stück Würde kämpft. In der Kategorie Bestes Drehbuch machte der Mexikaner Michel Franco mit „Chronic“ das Rennen – einem Film über das Thema Sterbehilfe.

Ausnahmefilm „Son Of Saul“

Den beklemmendsten Beitrag des Festivals lieferte der Ungar László Nemes mit seinem Debüt „Son Of Saul“. Er schildert auf schier unerträgliche Art das Innenleben des Vernichtungslagers Auschwitz. Ein KZ-Häftling, der als Mitglied des sogenannten Sonderkommandos Privilegien in der Todesfabrik genießt, entdeckt unter den Bergen der Ermordeten seinen vermeintlichen Sohn und versucht mit allen Mitteln, ihm eine jüdische Beerdigung zu ermöglichen. Nemes, einst Assistent der Regie-Ikone Béla Tarr, nimmt mit der Handkamera die Zuschauer gleichsam mit in die Gaskammern, zeigt die Opfer jedoch stets in der Unschärfe seiner Bilder und vermittelt den unvorstellbaren Horror durch eine unerbittliche Lärmkulisse aus Kommandogebrüll, Beschimpfungen und Todesschreien. Die rigorose künstlerische Leistung des 38-jährigen Regisseurs wurde mit dem „Großen Preis der Jury“ gewürdigt.

Bildgewaltig: „The Assassin“

Über den kleinen Jury-Preis darf sich Griechenland freuen. Yorgos Lanthimos erhielt ihn für seine originell gestrickte Farce „Hummer“, in der scheiternde Singles nach einer letzten Bewährungsprobe von 45 Tagen in Tiere verwandelt werden. Im internationalen Kritiker-Spiegel des Fachblatts „Screen“ lag mit weitem Abstand der bildgewaltige Historienfilm „The Assassin“ des taiwanesischen Meisterregisseurs Huo Hsiao-hsien ganz vorne, den Coens und Co war das Kampfkunst-Epos jedoch nur der Regie-Preis wert. Gold vergaben sie an das Flüchtlingsdrama „Dheepan“ von Jacques Audiard. Er erzählt von einem Tamilen, der mit Frau und Kind in Frankreich Asyl sucht und in einem heruntergekommenen Vorort von Paris mit der dortigen Gewalt von Drogenhändlern konfrontiert wird.