Radfahrer und Filmemacher: Roman Högerle (links) und Felix Länge Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Revolution rollt. Einmal im Monat zeigen sich die Radfahrer in Massen und besetzen die Autostadt. Critical Mass nennt sich diese Radler-Parade. Darüber drehen Felix Länge und Roman Högerle einen Dokumentar-Film. Sie wollen jenen ein Denkmal setzen, die Hügeln, Autos und Feinstaub trotzen.

Stuttgart - Die Szene war perfekt. Felix Länge (21) und Roman Högerle (32) glaubten kaum, was sie da sahen. Es war die vollkommene Einstellung für ihren Film: Da war sie vor ihren Augen, die Stuttgarter Malaise mit der Verkehrspolitik auf einen Blick. Das Kaufhaus Breuninger ließ für eine Modeschau die Promis mit dutzenden S-Klasse-Mercedes ankarren, während des Feinstaubalarms und über die Eberhardstraße, eine Fahrradstraße. Den Soundtrack dazu singt natürlich Wolle Kriwanek: „I fahr Daimler, d’ Strohß gheert mir.“

Das wahre Kesselrollen, es dröhnt dumpf. Dabei sollte es doch eher surren wie ein Rad, finden Länge und Högerle. „Kesselrollen“ so heißt ihr Film, 30 Minuten lang soll er werden, kurz und knapp, ohne Längen, die vielfältige Szene der Radfahrer in Stuttgart abbilden. Pardon, eine Szene der Radfahrer in der Autostadt? Doch die gibt’s, sagen Länge und Högerle. „Es gibt hier viele Enthusiasten, die ohne große öffentliche Unterstützung und mit viel Leidenschaft für eine lebenswerte Stadt kämpfen“, sagt Länge.

„Wir sind der Verkehr!“

Etwa bei der Critical Mass. Das ist jene bewegte Demo, bei der immer am ersten Freitag des Monats bis zu 700 Radler auf verschiedenen Routen durch die Stadt fahren. „Ritzel statt Rußpartikel“ oder „Luftpumpe statt Auspuff“ ist ihr Motto. Oder: „Wir behindern nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr!“

Man radelt gemeinsam, man kocht hernach gemeinsam; aber natürlich ist das mehr als nur Spaß. Gerade in einer Stadt wie Stuttgart, in der Verkehrspolitik Jahrzehnte lang so aussah: Den Platz, den die Autos nicht belegten, überließ man den Radlern und Fußgängern. Da blieb nicht viel übrig. Was nicht in die autogerechte Stadt passte, wurde passend gemacht. Nun wollen die Radler die kritische Masse erreichen, jene kritische Masse, ab der sie beachtet und von der Politik ernst genommen werden.

Begonnen hat all das 1992 in San Francisco. Da radelten 20 Menschen durch die Stadt, um auf sich und ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Mittlerweile gibt es die Critical Mass in mehreren hundert Städten auf der ganzen Welt. In Stuttgart radelte man erstmals vor sechs Jahren gemeinsam durch die Stadt.

„Genauso Verrückte wie wir“

Dort fand sich auch Högerle ein, als er nach dem Studium der Medienwissenschaften in Konstanz nach Stuttgart kam, weil er Arbeit fand im Filmbüro Baden-Württemberg. Der passionierte Radler lernte bei der Critical Mass Felix Länge kennen. Der junge Mann war von Schwäbisch Gmünd nach Stuttgart gezogen, weil er hier eine Ausbildung zum Mediengestalter macht. Sie stellten fest: „Das sind genauso Verrückte wie wir: Die radeln trotz vieler Autos, schlechter Radwege, mieser Luft und steilen Straßen.“ Und dachten sich: Da müssen wir einen Film darüber drehen. Högerle: „Das sind die unterschiedlichsten Menschen, die sonst nicht viel gemeinsam haben. Und doch treffen sie sich bei der Critical Mass, um mit dem Rad durch die Stuttgarter Straßen zu fahren?“ Was verbinde diese Menschen und was seien ihre Beweggründe?

Und wie das so ist, in einer überschaubaren Szene lernt man schnell auch andere Menschen kennen. So wird auch Jan Lutz im Film vorkommen. Er bastelt ein Feinstaub-Messgerät für Jedermann. Oder die Initiative Freies Lastenrad Stuttgart, die Lastenräder vermietet. Länge: „Wir werden auch mit dem ADAC reden, oder mit Leuten, die keinesfalls aufs Auto verzichten möchten: Wir wollen keinen Hassfilm drehen über die Automobilindustrie.“ Ganz bestimmt aber wird es ein Liebesfilm über das Radfahren.

Für ein Happy-End brauchen sie allerdings noch Geld. Um ordentliche Ausrüstung kaufen oder leihen zu können, sammeln sie gerade Spenden über das Internet. Crowdfunding nennt sich das. 7500 Euro sind nötig, sagen sie. Doch auch wenn sie das Geld nicht zusammenbekommen, wollen sie den Film drehen. „Dann müssen wir es selbst finanzieren“, sagt Länge. Und Högerle ergänzt: „Da steckt unser Herzblut drin.“ Irgendwie werde man das trotzdem schaffen. Als Radfahrer in Stuttgart sind sie es ja gewohnt: Hier muss man stets kräftig strampeln, um ans Ziel zu kommen.

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