Oliver Hirschbiegel führte Regie im Film „Elser – Er hätte die Welt verändert“ über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Foto: dpa

Regisseur Oliver Hirschbiegel äußert sich im Interview über seinen Film „Elser – Er hätte die Welt verändert“.

Herr Hirschbiegel, ist Ihr Film über den Hitler-Attentäter George Elser auch eine Image-Kampagne für die Schwaben?
Wenn man das so sehen möchte, gern. Dieses Völkchen ist schon speziell, und es ist bestimmt kein Zufall, dass Elser, die Geschwister Scholl und Stauffenberg Schwaben waren. Es gibt eine gewisse Radikalität, die wir Deutsche alle in uns tragen. Und ich habe das Gefühl, dass sie in dieser Region besonders ausgeprägt ist.
Woran könnte das liegen?
An der Faszination für die Schönheit der Perfektion, die aber nie erreicht wird. Kurzzeitige Zufriedenheit tritt immer ein, wenn man einen weiteren Schritt in diese Richtung gemacht hat. Der Maschinenbau ist das beste Beispiel. Vielleicht gilt diese Haltung für unser Volk generell, aber im Schwabenland umso mehr. Eine Sache ist nie fertig, es geht immer noch besser. Sobald man ein Ergebnis erzielt, das sehr zufriedenstellend ist, denkt man schon darüber nach, wie man es noch effizienter machen kann. Und noch schöner, noch zuverlässiger. Das ist radikal. Wir Deutsche haben das erfunden. Und die Maschine, die das generiert, steht nach meiner Überzeugung irgendwo im Schwabenland.
Georg Elser ist trotz Filmen, Ausstellungen und Denkmalen noch immer relativ unbekannt. Wollten Sie ihn vor dem Vergessen bewahren?
Zunächst einmal wollten das die Autoren. Ich bin erst später in die Entwicklung eingestiegen. Man hat jahrelang recherchiert und auf diesem neuen Kenntnisstand angefangen, den Stoff zu entwickeln. Für mich war es immer ein Rätsel, warum dieser Mann nicht die Anerkennung erfahren hat, die ihm gebührt. So wie er bisher beschrieben wurde, habe ich Elser nie ganz verstanden. Erst durch das Drehbuch hat er sich mir in seiner Logik erschlossen.
Was meinen Sie?
Er ist eine sehr heutige Figur, ein universaler Weltmensch. Er weiß aus sich heraus, was er zu tun hat. So wie heute ein Edward Snowden. Die Parallelen sind evident, auch wenn Snowden natürlich kein Tyrannenmörder ist. Aber den Mut, so einen Schritt zu tun, obwohl einem die Konsequenzen bewusst sind, finde ich schon bewundernswert.
Warum haben sich für Georg Elser bis in die 1980er Jahre so wenig interessiert?
Ich denke, das hat mit dem Klassensystem zu tun. Stauffenberg war Aristokrat und Mitglied der Offizierskaste. Die Scholls hatten einen Akademiker-Hintergrund. Das sind die Schichten, die im Gegensatz zur Arbeiterklasse eine Lobby hatten. 1944 hat es nicht mehr viel Fantasie gebraucht, um zu sagen, Hitler muss gestoppt werden. Da ist es peinlich, wenn schon 1938 einer sagt, dass diese Leute Gift sind und uns in die Katastrophe führen. Und wenn dem sonst niemand Einhalt gebietet, dann mache ich das. Das war visionär, schockierend hellseherisch.
Warum trug Elser die belastenden Pläne noch bei sich, als er sich in die Schweiz absetzen wollte?
Er hat das nie erklärt, ich kann das nur interpretieren. Die Idee war, dass er in der Schweiz mittels dieser Objekte nachweisen wollte, dass er derjenige war, der die Bombe gelegt hat. Er operierte ja komplett allein, ohne eine Infrastruktur. Das erinnert mich an Raskolnikow aus „Schuld und Sühne“. Die Hybris des Täters, der eigentlich das perfekte Verbrechen begeht und davon ausgeht, dass der Rückzug sich dann von selbst ergibt. Schließlich ist er ja so weit gekommen. Aber das funktioniert so nicht. So perfekt Elser jeden einzelnen Punkt der Operation geplant hat, so naiv ist er an seine Flucht herangegangen. Das ist schon absurd.
Der Filmtitel beinhaltet die Hypothese „Er hätte die Welt verändert“. Was wäre geschehen, wenn Hitler und Komplizen tatsächlich 1938 ums Leben gekommen wären?
Mit Sicherheit hätte es den Holocaust nicht gegeben und mit großer Wahrscheinlichkeit auch keinen Zweiten Weltkrieg. Sie saßen ja alle um ihn herum: Goebbels, Himmler, Hess. Die Einzigen, die nicht da waren, waren Göring, Bormann und die zweite Riege, die allein nichts auf die Reihe bekommen hätten. Die Planung für den Überfall auf Frankreich hat am nächsten Tag stattgefunden, deshalb musste Hitler früher weg. Eigentlich sollte er fliegen, aber dichter Nebel hat das unmöglich gemacht. Deshalb ist man auf den Zug umgestiegen, und Hitler hat den Bürgerbräukeller 13 Minuten vor der Explosion verlassen. Elser hätte die Weltgeschichte verändert, definitiv. Er hätte 60 Millionen Leben gerettet. Eine Dimension, die einem den Atem stocken lässt.