Der echte (li.) und der Film-Harry-Wörz Rüdiger Klink. Foto: dpa

Was hat das Leben aus Harry Wörz gemacht – dem Installateur und Bauzeichner aus Birkenfeld im Enzkreis, der für eine der vermeintlich größten Justizpannen in der Geschichte der Bundesrepublik steht?

Stuttgart - Was hat das Leben aus Harry Wörz gemacht – dem Installateur und Bauzeichner aus Birkenfeld im Enzkreis, der für eine der vermeintlich größten Justizpannen in der Geschichte der Bundesrepublik steht? Der vier Jahre und sieben Monate unschuldig im Gefängnis saß und seit nunmehr 17 Jahren für seine Unschuld kämpft – und dafür, dass der wahre Täter endlich gefunden wird. Jener Mann, der seine von ihm getrennt lebende Frau in einer Aprilnacht des Jahres 1997 mit einem Schal in die geistige Behinderung stranguliert hat.

Jahrelang stand der heute 47-Jährige als Dauerangeklagter vor Gericht und damit in der Öffentlichkeit. Nach seinem Freispruch vor dem Landgericht Mannheim im Jahr 2009 ist es ruhig geworden um Wörz. Anlässlich des SWR-Films „Unter Anklage“, der am 29.Januar gezeigt wird, kehrte er ins Rampenlicht zurück. Bei der Pressevorführung in Stuttgart sprach Wörz am Rande über . . .

Sein Leben nach dem Freispruch: „Ich stehe, ich komme nicht vorwärts“, sagt Wörz. Die vergangenen 17 Jahre seit der Tat und der Festnahme prägen noch immer sein Leben und werden es voraussichtlich bis an sein Lebensende tun. Dabei wecken zumindest die äußeren Umstände Zuversicht. Wörz hat eine neue Frau an seiner Seite und mit ihr eine gemeinsame Tochter. An ein geregeltes Leben mit Arbeit ist jedoch nicht zu denken. Der 47-Jährige ist berufsunfähig und befindet sich noch immer in Therapie.

Seine Gesundheit: Dass es ihm nicht besonders gutgeht, sieht man Wörz an. Gebückte Haltung, unsicherer Blick, ein Lachen ist selten. „Es geht so weit, aber es ist nicht so, wie es sein sollte“, lautet sein eigenes Bulletin. Das größte Problem ist, wie er selbst sagt, sein „voller Kopf“. Die Zeit vor Gericht und im Gefängnis hat sich so tief in ihm eingebrannt, dass kaum Platz für Neues ist. Auf sein Kurzzeitgedächtnis ist kein Verlass. Noch immer kann Wörz jede Akte auswendig herunterbeten – dafür überfordern ihn schon zwei direkt aufeinander gestellte Fragen. Nach eigenen Aussagen schläft er nur 1,5 Stunden pro Nacht. „Dann wache ich auf und denke: Was macht die Generalstaatsanwaltschaft jetzt schon wieder?“

Seine finanzielle Situation: Auch die ist bescheiden. Seine Rente liegt nach eigenen Worten „weit unter dem Armutssatz“. Zwar bekam Wörz für die Zeit, die er unschuldig im Gefängnis saß, eine Haftentschädigung von 25 Euro am Tag, zusammengenommen waren das 41.900 Euro. Das war aber nur ein Bruchteil der Anwaltskosten. Und davon muss er nun auch noch 14.000 Euro für Kost und Logis zurückzahlen – weil er in dieser Zeit keine Kosten für Wohnung und Verpflegung hatte. Dass ihm Freunde finanziell unter die Arme greifen, ändert nichts daran, dass Wörz hoch verschuldet ist.

Den Staat: Das vermeintliche Justizopfer – der Fall ist noch immer ungeklärt – ist voller Verachtung für Polizei und Justiz. Einen Großteil seiner Zeit verwendet der Birkenfelder für den Kampf mit den Behörden um Euro und Cent. Er muss seine Ansprüche gegen das Land durchsetzen und ist selbst beweispflichtig. Aktuell kreist die Auseinandersetzung um ein Parkticket vor dem Bundesgerichtshof in Höhe von 4,50 Euro. „Selbst wenn ich zwei Millionen vom Staat bekäme“, wäre das nicht genug“, sagt Wörz.

Seine Ex-Frau und den gemeinsamen Sohn: Harry Wörz wünscht sich nichts mehr, als beide zu sehen. Die Eltern seiner schwer geschädigten Ex-Frau untersagen ihm jedoch jedes Besuchsrecht. Das Verhältnis ist vergiftet. „Wenn einem Kind 17 Jahre lang erzählt wird, dass Papa der Mama wehgetan hat, kann es das nicht im Klo runterspülen“, sagt Wörz. Sein Sohn tritt unterdessen in die Fußstapfen der Mutter. Er macht eine Ausbildung bei der Polizei. Im vergangenen Jahr hat Wörz ihn zufällig auf der Straße gesehen – in Polizeiuniform.

Den Film: Dokumentarfilme über das Justizdrama gab es schon einige, nun wagt sich der SWR erstmals an eine fiktionale Verfilmung. Die 90 Minuten mit Rüdiger Klink und Felix Klare (als Anwalt Hubert Gorka) in den Hauptrollen sind sehr nah an der Realität. Für die Filmemacher besteht kein Zweifel, dass Wörz unschuldig ist. Für Wörz selbst war es „sehr anstrengend“, die eigene Geschichte auf der Leinwand zu sehen. Die ein oder andere Träne wurde verdrückt, vor allem bei den Szenen mit seinem Sohn. Dennoch hätte man aus Sicht von Wörz den Stoff „nicht besser“ inszenieren können. Die Besuche am Dreh hätte er sich im Nachhinein allerdings besser erspart. „Da kam vieles wieder hoch, das war ein Fehler.“

Die ARD zeigt „Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz“ am 29. Januar um 20.15 Uhr. Anschließend diskutiert Anne Will über das Thema Justizirrtümer.