Aleksei Guskov als russischer Gangster Foto: a

Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke, Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg, überraschen mit einer bizarren Sibirien-Farce.

Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke, beide Absolventen der Filmakademie in Ludwigsburg, sind ein eingespieltes Team mit eigener Handschrift. Ihre Spezialität: zwischenmenschliche Verwerfungen vorführen mit schwarzem Humor und einem Gespür für feine Nuancen.

In „Ende der Saison“ (2001) spielte Hannelore Elsner eine Todgeweihte, die ihre Familie auseinanderfallen sieht – ganz beiläufig in Andeutungen, Sticheleien, Verletzungen. In der Skihütten-Satire „Sie haben Knut“ (2003) brachte das kongeniale Duo die Gruppendynamik auf den Punkt, die um 1980 zwischen trocknenden Socken, Gesellschaftsspielen und Weizenbier entstehen konnte, wenn politisch Bewegte, Pädagogen, Eigenbrötler, Leistungssportler und Faulenzer aufeinanderprallten. In „Familienkreise“ (2003) war es Götz George, der als heimkehrender Patriarch seine Lieben gnadenlos aufmischte.

Immer ging es Krohmer und Nocke um Ensembles mit vielschichtig gezeichneten Charakteren in einem ausgeklügelten Beziehungsgeflecht, immer lauerten unter scheinbar harmloser Oberfläche herrlich realistische Gemeinheiten. Diese Vorbemerkung ist insofern wichtig, als sie in ihrem aktuellen Werk einer anderen Prämisse folgen: „Mädchen im Eis“ ist eine bizarre Sibirien-Farce, in der Figuren einander willkürlich über den Weg laufen und wenig bis nichts voneinander wissen. Folglich können sie auch nur begrenztes Konfliktpotenzial aufbauen, das über Oberflächlichkeiten hinausgeht.

Eine Deutsche reist da einem russischen Geliebten nach bis ans Ende der Welt, nur um herauszufinden, dass dieser ein Baby mit einer Biathletin hat, die ihre Muttergefühle olympischen Ambitionen opfert. Und ein Gangster mit nationalistischem Anliegen lässt ein prorussisches Propaganda-Video drehen, dem schon im Vorfeld 100 Pinguine zum Opfer fallen, die es, genau, nicht gibt in der Arktis. Ein bärtiger Witz, der symptomatisch ist für den eher bemühten Humor im gesamten Film: nicht wirklich lustig.

Eine packende Geschichte entwickelt sich aus den genannten Ansätzen kaum, und unter den geschwätzigen, beliebig wirkenden Figuren sticht nur eine heraus: Wunderbar versteht es Aleksei Guskov, die zwei Gesichter des Paten Starych auszuspielen, einen sanften Betörer, der unvermittelt zum gnadenlosen Killer mutieren kann. Den Gegenpol bildet Lucie Heinze als verirrte Deutsche. Ihre Figur hat keine Konturen, sie möchte nichts außer dem Kerl – kein Wunder, dass ihr Text oft wirkt wie aufgesagt.

Besonders irritierend ist der Erklärbär, der via Voice-over rückblickend alles viel zu ausführlich kommentiert, während er im Zoo Pinguine füttert – nachdem er vorher deren Artgenossen hat umkommen lassen.

Gelungen ist die Bildgestaltung der Zwischenphasen sowie des Films im Film. Menschen verloren in der Eiswüste, Tintenschlieren im Wasser, eine aus Ödnis wachsende Fantasy-Stadt, rötliche Wirbelwolken im Zeitraffer: Da ist „Mädchen im Eis“ großes Kino. Dazu gibt es eine Art russischen Surf-Sound, der die absurde Tragik des Lebens spiegelt und auch Aki Kaurismäki gefallen könnte.

Der Handlung hilft all das freilich nicht auf die Sprünge, weder das vorgebliche Drama noch der Humor mögen so richtig zünden. Keine Spur von der Subtilität früherer Werke, dafür stellenweise wüste Gewalt, bei der nicht klar wird, was sie eigentlich soll.

Nocke kann es noch, das hat er gerade beim Stuttgarter Trickfilm-Festival bewiesen mit einer bitterbösen Animations-Satire: Im TV-Talk streiten afrikanische Wildtiere darüber, wer die Kosten der Krise tragen soll; natürlich ist es die Beute. Der Mittelstand in Deutschland weiß das längst.

Und das Duo Krohmer/Nocke? Wir hoffen auf den nächsten Film.

Ab 12; im Delphi