Hartmut Renner arbeitet nicht nur mit dem Zeichenstift, sondern mit dem gesamten Ausstellungsraum. Foto: Sabine Schwieder

Die überlebensgroßen Zeichnungen und kleineren Objekte des Schorndorfer Architekten verweisen auf gesellschaftspolitische Entwicklungen. Es geht um die Phänomene, die den politischen Rechtsruck hervorgebracht haben.

Filderstadt - Der Blues passt gut zu seinem Personal: Hartmut Renner, in Schorndorf lebender Künstler und Architekt, stellt von Sonntag an in der Städtischen Galerie Filderstadt Zeichnungen und Objekte aus. Zur Vernissage auf Einladung des Vereins Künstler der Filder wird der Gitarrist Michael Sandmann Musik machen. Die Ausstellung mit dem Titel „auf distanz“ zeigt überlebensgroße Zeichnungen von Menschen und kleinere Figuren aus Holz, denen eines gemeinsam ist: Ihre ovalen Köpfe erinnern an Edvard Munchs „Schrei“ oder an die Darstellung von Toten. Ihre ausdrucksstarken Gesichter spiegeln Verhaltensweisen von Ablehnung und Aggression über Forderung bis hin zum Rückzug in ganz eigene Welten. Sie dienen als Sinnbild für eine Gesellschaft, die sich damit auseinandersetzen muss, dass es keine unumstößliche Wahrheiten gibt.

Zeichner und Architekt zugleich

Hartmut Renner, 1954 in Künzelsau geboren, ist Zeichner und Architekt. Seine schwarz-weiß gehaltenen Arbeiten sind immer im Raumzusammenhang zu sehen. Die Säulen der Galerie hat der Künstler mit Zeichnungen umhüllt, die den Eindruck einer brüchigen Statik vermitteln. Eine dunkle Wand, von der aus Figuren auf die Betrachter sehen, verweist darauf, dass in Zeiten der sozialen Medien auch die eigenen Wände keinen Schutz mehr bieten: Alles ist öffentlich.

„Ich beginne immer mit der gründlichen Zeichnung der Gesichter und Hände“, beschreibt Renner seine Arbeitsweise. Die Bearbeitung anschließend mit Tusche hat für ihn dagegen etwas Aggressives und zugleich Befreiendes.

Akteure im sozialen Raum

Seine Zeichnungen sind immer auch Akteure in einem sozialen Raum, sie verweisen auf gesellschaftspolitische Entwicklungen. In der Beschäftigung mit Philosophie und Literatur ist der Zeichner auf das „Prinzip des unzureichenden Grundes“ gestoßen. Er hat es im Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil gefunden. Es bedeutet, grob zusammengefasst: Nichts im Leben geschieht aus einem Grund, das Dasein des Menschen ist rein zufällig. „Daraus folgt, dass wir frei sind, uns zu entscheiden. Das schafft Unsicherheit, weil es keine absoluten Wahrheiten mehr gibt“, erklärt Hartmut Renner Phänomene wie den politischen Rechtsruck oder Donald Trump.

Tuschestriche wie Piercings oder Narben

In der Kunst kann Bewusstsein für derartige Entwicklungen geschaffen werden. „Das macht man dadurch, dass man auf Distanz zu sich selbst geht“, erläutert Renner den Titel der Ausstellung. Die Gesichter seiner Figuren, die Tuschestriche oder kleine Metallstäbe wie Piercings oder wie Narben tragen, berühren zugleich durch ihren Ausdruck: ablehnend, fordernd oder sehr zurückgenommen. „Sie stehen alle unter Strom“, sagt Renner selbst. Als Betrachter möchte man ihnen zu Hilfe kommen. Andere wieder sind erstarrt und mit geschlossenen Augen in ihre eigene Welt geflüchtet. Vielleicht, um der Zerrissenheit der Gesellschaft zu entfliehen.