Foto: Leif Piechowski

S-21-Projektsprecher schließt fast alle Alternativen aus – Bahn-Landeschef: Verfahren offen.

Leinfelden-Echterdingen - Beim ersten Filder-Dialog zu Stuttgart 21 haben viele Teilnehmer den Verzicht auf Fern- und Regionalzüge auf S-Bahn-Gleisen zum Flughafen gefordert. Was die Bahn will ist unklar. Beobachter machen zwei Fraktionen im Schienenkonzern aus. S-21-Gegner Hannes Rockenbauch hat den Dialog unter Protest verlassen.

Der erste Filder-Dialog brachte am Samstag 68 zufällig ausgewählte Bürger (darunter 30 Frauen) und 84 Experten oder Interessenvertreter (13 Frauen) in der Filderhalle in Leinfelden zusammen. In zwei weiteren Terminen sollen sie bis zum 7. Juli einen möglichst einvernehmlichen Vorschlag dazu finden, wie beim Projekt Stuttgart 21 die Züge der von Singen kommenden Gäubahn an den Flughafen geführt werden. Die Bahn plant bisher, dazu die bestehenden S-Bahn-Gleise zu nutzen.

„Wir stehen unter Beobachtung des ganzen Landes“

Gisela Erler, im Stab von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, atmete am Samstag auf. Der Start des Dialogs musste wegen mangelndem Interesse der Bürger vom 25. Mai auf den 16. Juni verschoben werden. „Sie wissen, wie viel Spott ich geerntet habe. Wir stehen unter Beobachtung des ganzen Landes“, sagte Erler. Die „Denkfabrik“ sei nun geöffnet. Erler forderte von allen Beteiligten „mentale Gelenkigkeit“.

In der Halle selbst waren die Beobachter auf dem Zuschauerrang allerdings Mangelware. Nur rund 20 wollten sich die Mammutsitzung von 10 bis 17 Uhr zumuten. Ähnlich viele Projektgegner hatten vor der Halle Infostände aufgebaut.

„Wer sich in die Bahn-Planung begibt, riskiert, darin umzukommen. Meine Stadt ist die Hauptbetroffene der Pläne“, zeigte OB Roland Klenk (CDU), dass er dem Dialog-Verfahren noch immer reserviert gegenübersteht. Die Bürger seien sich einig. Sie wollten „keine Gefährdung des S-Bahn-Takts und Schutz vor Lärm und Erschütterungen“, so der Verwaltungschef. Dafür erhielt er Beifall aus dem Plenum und von der Tribüne.

Was will die Bahn?

Klenks Beobachtung wurde in der ersten Runde des vom Bonner Moderator Ludwig Weitz geleiteten Dialogs bestätigt. „Was ist für sie, unabhängig von den konkreten Planungen und Varianten, von Bedeutung?“, fragte Weitz die Teilnehmer.

Die gemischten Runden an 20 Tischen notierten ihre vier Hauptforderungen. Diese heißen: Lärmschutz, gleiches oder besseres S-Bahn-Angebot, zukunftsfähige Planung, und keine Fernzüge auf den S-Bahn-Gleisen. Auch Sicherheit und der Verzicht auf Landverbrauch wurden häufig genannt. Zwar wurden an diesem Samstag sechs Alternativen zur Bahn-Planung vorgestellt, doch erst am 29. Juni wird über diese beraten.

Was will die Bahn? Hartmut Bäumer (Grüne), Amtschef im Verkehrsministerium, und Erler vernehmen aus dem Bahn-Konzern offenbar unterschiedliche Signale, was die Bereitschaft zu Planänderungen betrifft. „Wenn ich nicht Signale von Menschen hätte, die bei der Bahn ganz oben stehen, würde ich mich in diesen Dialog nicht so reinhängen“, sagte Erler unserer Zeitung am Rande der Veranstaltung.

Geplanter Mischverkehr soll bleiben

„Im Konzern ist vielen klar, dass der Filder-Anschluss bisher keine gute Lösung ist“, sagte Bäumer. Innerhalb der Bahn registriere er dazu „deutlich unterschiedliche Signale und Strömungen“. Die Projektplaner der Bahn, so Bäumer, „können nach zehn Jahren nicht plötzlich zu einem besseren Ergebnis kommen“. Die Bahn versucht seit Jahren, ihre Planung für die Filder bei der Genehmigungsbehörde, dem Eisenbahn-Bundesamt in Bonn, durchzubringen.

Rockenbauch brach seine Zelte ab

Unterschiedliche Signale senden selbst Bahn- oder S-21-Projektvertreter in Stuttgart. „Die Bahn ist offen, die Diskussion über den Abschnitt am Flughafen darf alles infrage stellen. Sie soll Empfehlungen geben“, sagt Eckart Fricke, Bahn-Bevollmächtigter für Baden-Württemberg. Was gebaut werde, entschieden letztlich die Projektpartner. Bestehende Verträge anzupassen könne eine Folge des Dialogs sein. Fricke: „Wir treffen uns am 12. Juli zur Entscheidung.“

Wolfgang Dietrich, der von Bahn-Chef Rüdiger Grube direkt berufene Sprecher des S-21-Kommunikationsbüros, grenzt die Möglichkeiten dagegen ganz erheblich ein. In einer schriftlichen Stellungnahme nach dem Dialog schließt er „eine Grundsatzdiskussion zum Projekt und zum verabschiedeten verkehrlichen Gesamtkonzept“ aus.

Der geplante Mischverkehr auf den S-Bahn-Gleisen zwischen Rohr und Flughafen soll laut Dietrich bleiben. Neue Gleise für den Fernverkehr würden neue Betroffenheiten und neue Eingriffe in die Natur und landwirtschaftlich genutzte Flächen bedeuten. Das sei „nicht genehmigungsfähig“. „Mischbetrieb oder Flächenverbrauch, die Bürger müssen sich entscheiden“, sagt dagegen Fricke.

Nach Dietrichs Lesart wären alle Alternativen ausgeschlossen, bis auf zwei: Das nähere Heranrücken des geplanten Fernbahnhofs an den Flughafen oder der Fernbahnhof unter dem Bosch-Parkhaus der Messe. Letzteres aber lehnt der Flughafen als ein Hauptzahler bei Stuttgart 21 ab.

Rockenbauch brach seine Zelte ab

„99 Prozent der genannten Urteile zum Flughafenanschluss könnte ich unterschreiben“, kommentierte der Stuttgarter SÖS-Stadtrat und OB-Kandidat Hannes Rockenbauch die Kriterien. „Dann sollten wir aber auch über die Nullvariante reden“, forderte er. Der Verzicht auf den Stuttgarter Tiefbahnhof werde aber ausgeklammert.

Dieses Statement des 31-jährigen Architekten war sein Einsteig in seinen Ausstieg aus dem Verfahren. Mehrfach hatte der Wortführer des S-21-Widerstands im Plenum die Regularien und damit Moderator Weitz kritisiert. Der reagierte souverän, forderte Rockenbauch gelassen auf, er solle die Fragen später stellen. Im zweiten Dialog am 29. Juni sollen die Alternativen geprüft werden. „Sie helfen ihrer Sache nicht, ein Verzicht auf Stuttgart 21 ist nicht Gegenstand dieses Dialogs“, hatte Bäumer zuvor auf Zwischenrufe Rockenbauchs reagiert.

Nach der Vorstellung der Planungsalternativen am Nachmittag brach Rockenbauch seine Zelte ab. Nicht nur er hatte Fragen zur Machbarkeit der sechs Alternativen gestellt. Man habe diese nicht geprüft, räumte Markus Schubert, Geschäftsführer von Intraplan in München, ein. Eine „vernünftige und vertiefende Diskussion“ sei „unter diesen Umständen nicht möglich“, sagte Rockenbauch und erhielt von den S-21-Gegnern Beifall für seinen Auszug. „Ich kann hier nicht alles runterschlucken“, so der OB-Kandidat zu unserer Zeitung. Ohne das Wissen um Fahrzeiten und Kosten könne man keine Varianten bewerten. Seinen Ausstieg will er heute mit der Fraktion besprechen.

Ludwig Weitz versuchte am Abend auf einer Pressekonferenz den Eklat herunterzuspielen. Es sei „ganz natürlich, dass man es in einer so großen Gruppe nicht jedem recht machen kann“, sagte der Moderator. Weitz weiter: „Es tut mir leid, ich denke, dass er viel hätte beitragen können.“ Man müsse „Fakten nachliefern“, räumte Bäumer ein. „Das ist ein sehr komplexes Thema“, resümiert Ludwig Weitz. Für ihn war der Samstag dennoch „ein guter Tag für den Dialog“.