Der Weiße Ring hilft Opfern von Kriminalität durch den Bürokratiedschungel. Foto: dpa-Zentralbild

Der Weiße Ring hilft Menschen, die in schreckliche Lagen geraten sind. „Haarsträubendes“ sei da oftmals dabei, sagt Reiner Mischer aus Leinfelden-Echterdingen. Er ist einer von drei Ehrenamtlichen – das ist definitiv zu wenig.

Filder - Es sind keine schönen Geschichten, die sich Reiner Mischer in seinem Ehrenamt für den Weißen Ring anhören muss. Es sind die Geschichten von Menschen, die Verbrechern zum Opfer gefallen sind. Doch so grausam die Berichte daherkommen, so klar ist für Reiner Mischer, wie wichtig seine Aufgabe ist. „Man spricht immer nur von den Tätern, die Opfer vergisst man“, sagt der 68-jährige Polizeihauptkommissar außer Dienst. Vor zwei Jahren hat sich der Mann aus Stetten dem Weißen Ring angeschlossen, um eben dies zu ändern.

Zusammen mit derzeit zwei anderen Ehrenamtlichen kümmert er sich im Landkreis Esslingen um Kriminalitätsopfer. Sie sind zu dritt – und damit zu wenige. Deshalb suchen Mischer und die anderen händeringend nach Verstärkung. In den vergangenen Monaten sei viel los gewesen, „das können wir allein nicht bewältigen“, sagt er. Zumal der Weiße Ring zeitnah reagieren muss, wenn etwas passiert ist. Heißt, dass Interessenten für dieses Ehrenamt sich klar darüber sein sollten, dass sie schon im nächsten Moment aus dem, mit dem sie gerade beschäftigt sind, herausgerissen werden könnten.

Der Doppelmord in Reudern gehört zu seinen Fällen

Reiner Mischer betreut zurzeit einen besonders harten Fall, einer der ihm persönlich nachgeht, wie er sagt. Nach dem Doppelmord in Reudern bei Nürtingen Mitte Juli kümmert er sich um die Hinterbliebenen. Ein Familienvater hatte seine Ehefrau und seinen Schwiegersohn umgebracht. Zurück blieben vier Kinder, zwei davon sind minderjährig. Er habe erreicht, dass die beiden älteren Schwestern die Vormundschaft für die Jüngeren bekommen hätten; und er habe die ältere Schwester, die ihren Mann verloren habe, unterstützt bei finanziellen Fragen. „Da war ja von heute auf morgen der Ernährer weg“, sagt Mischer. Er sei zum Beispiel mit ihr Versicherungspapiere durchgegangen und habe ihr Tipps gegeben.

Der Weiße Ring ist für Kriminalitätsopfer ein Lotse im Bürokratiedschungel, er vermittelt, berät, klärt auf. Beispielsweise über das Opferentschädigungsgesetz, von dem viele noch nichts gehört haben, bevor sie vom Schicksal überrollt worden sind. Die Ehrenamtlichen vom Weißen Ring begleiten die Opfer auf deren Wunsch auch vor Gericht, sind eine Stütze, sowohl physisch als auch psychisch. Sie stellen den Kontakt zu Ärzten oder der Traumaambulanz in Esslingen her, wenn ihnen das als sinnvoll erscheint. „Die Opfer sind damit allein überfordert“, sagt Reiner Mischer.

Im Mittel braucht Reiner Mischer drei, vier Stunden pro Fall, wobei das Treffen mit den Opfern rund eine Stunde dauert. Der Rest ist Vor- und Nachbereitung. Mit den anderen Ehrenamtlichen des Weißen Rings trifft sich der Mann aus Stetten einmal im Monat. Dann tauschen sie sich aus, gehen Fälle durch und reflektieren.

Man dürfe die Dinge nicht zu nah an sich ranlassen

Obschon die Aufgabenbeschreibung des Weißen Rings vor allem eine nüchterne ist, lässt sich kaum vermeiden, dass sich die Erenamtlichen auch der seelischen Nöte der Opfer annehmen. „Es ist wichtig, dass man erst mal zuhört“, sagt Reiner Mischer. Und man muss fertig werden mit dem, was dann auf den Tisch kommt. „Haarsträubendes“ sei das vor allem, wenn es um Kindesmissbrauch gehe. Reiner Mischers Blick verdunkelt sich für einen Augenblick. „Man darf die Dinge nicht zu nah an sich ranlassen“, sagt er dann.

Bevor Reiner Mischer im Januar 2009 in den Ruhestand gegangen ist, hat er bei der Bundespolizei am Flughafen gearbeitet. Illegale Einreise, unerlaubter Aufenthalt und Schleuser waren seine Themen. Mord und Totschlag gehörten hingegen nicht zu seinem Alltag. In Gesprächen mit Kollegen von anderen Polizeidienststellen hat er allerdings aufgeschnappt, dass Opfer von Kriminalität oftmals hinten runterfallen, dass sie sich selbst überlassen sind in einer Lage, in die sich keiner wünscht.

Helfer gesucht

Der Weiße Ring unterstützt zum Beispiel, indem die Mitarbeiter die Opfer zur Polizei oder zu Gericht begleiten; sie geben Hilfestellungen im Behördendschungel und vermitteln an verschiedene Hilfsdienste. Wenn bei den Opfern eine Bedürftigkeit festgestellt wird, unterstützt der Weiße Ring auch finanziell.

Gründer des Weißen Rings ist der 2009 verstorbene Journalist Eduard Zimmermann. Der Verein, der seit 1976 in Deutschland existiert, hat hierzulande rund 3000 Helfer und 50 000 Mitglieder. Er finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Stiftungen, Nachlässe sowie Zuweisungen von Geldbußen.

Wer sich für die ehrenamtliche Mitarbeit beim Weißen Ring entscheidet, besucht zwei Grundlagenseminare. Dort lernen sie etwas über den Umgang mit Fällen und welche Kontakte sie den Opfern vermitteln können. Interessenten können sich bei Reiner Mischer melden, Telefon 0711/907 89 21.