Szene aus Mozarts „Figaro“ mit der Opernschule Stuttgart. Foto: Kalscheuer

Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ mit der Opernschule, von Dagny Müller inszeniert im Wilhelma Theater, ist bestes Theater mit exzellenten Sängern.

Das sind Leute von heute, und Mozarts Stoff damit auch: Der notgeile Graf Almaviva erscheint als Snob in Golfer-Outfit, Zofe Susanna, der er nachstellt, burschikos in kariertem Hemd und Jeans. Die gefrustete Grafengattin macht auf schick, und Figaro, des Grafen Kammerdiener und Susannas Gatte in spe, trägt Blaumann. In Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“, der aktuellen Produktion der Opernschule Stuttgart im Wilhelma Theater, geht es auch in der zweiten Aufführung am Dienstag heiß und hoch her: Dreieinhalb Stunden bestes Theater auf gesanglich gutem Niveau bietet die quietschfidele und rasante Inszenierung von Dagny Müller, die derzeit szenische Leiterin der Opernschule ist.

Mozarts ohrfeigen- und knutscherreichste Oper spielt im heruntergekommenen Saal eines feudalen Altbaus (Ausstattung: Kersten Paulsen). Reste barocker Tapeten kleben an der Wand, das Mobiliar wechselt: Ein zeitloser Stühle-Stapel, gemischt aus allerlei Epochen, weicht dem Metallbett Figaros und Susannas. Ein überlanger Esstisch dient dem halbstarken, in Basecap und Schlabberjeans steckenden Pagen Cherubino als Podium für seine leidenschaftliche Liebesarie an alle Frauen dieser Welt. (Lisbeth Rasmussen Juel spielt und singt ihn fulminant und authentisch.) Das ganze Verwechslungs- und Versteck-Tohuwabohu endet schließlich im Wäscheleinen-Bettlaken-Durcheinander, wo sich herrlich verschwinden und wieder auftauchen lässt.

Jeder liegt hier auf der Lauer

Wer da hinter wem her ist oder auch nicht, ist ja irgendwie egal. Mozarts Grapsch-Oper lebt von der Verwirrung ihrer Protagonisten, während das Publikum über die Intrigen bestens Bescheid weiß. Da tappt der Graf (Philipp Franke) noch im Dunkeln, als er mit dem Akkuschrauber das Türschloss der Speisekammer aufbricht und dort nicht wie erwartet Cherubino herausholt. Jeder liegt hier auf der Lauer. Es ist aber selten einer, der die anderen beobachtet. Eher umgekehrt: Da zerrt Almaviva gleich eine ganze Schlange Spitzel und Spitzelinnen hinter der Kulisse hervor. Ja, wer war das noch mal?

Der Abend lebt vom exzellenten Ensemblespiel. Auch die Nebenrollen haben bis in liebevolle Details hinein fein inszenierte Auftritte: vom smarten Musikmeister Basilio (Sandro Machado) über den Thermoskannenkaffee schlürfenden Notar (Maksim Pogrebniak) bis zu Bartolo (Thomas Roeshol) und Marzelline (Jasmin Hosseinzadeh), die als Biker respektive Hippie-Wuchtbrumme brillieren, oder Barbarina, die als Commedia dell’Arte-Colombina ausstaffiert ist (Clémence Boullu). Gärtner Antonio (Konstantin Krimmel) stammelt seine merkwürdigen Beobachtungen gar bekifft mit Hanfpflanze im Arm und Rasta-Mütze auf dem Kopf.

Das Ende könnte ein Anfang sein

Richtig gut spielt auch das Stuttgarter Kammerorchester, in das sich Streicher- und Bläser-Studierende der Musikhochschule glänzend einfügen. Bernhard Epstein am Dirigierpult bringt das meist perfekt mit dem Geschehen auf der Bühne zusammen, wo Figaro Byung-Gil Kim mit schönem, sonorem Bassbariton aufhorchen lässt, und auch Maria Taxidou als Gräfin und Miriam Klein als Susanna gefallen. Ganz hervorragend funktionieren die vielen Ensemblegesänge – bis hin zum großen Acht-Personen-Finale-Picknick auf weißem Betttuch, in dem sich Dagny Müller erlaubt, Mozarts Schwamm-drüber-Happy-End eine Ohrfeige zu erteilen: Zum Schlussakkord verpasst Cherubino der Gräfin einen Zungenkuss – und alles könnte wieder von vorne beginnen.

Nochmals am 13., 14., 16. und 18. Februar. Karten: Tel. 07 11 / 95 48 84 95.