Die größte Sorge im Ort, da sind sich die Möckmühler einig, ist zur Zeit die Schließung des Krankenhauses. Foto: Eduard Lousing

Vor den Bundestagswahlen sind unsere Reporter die A81 entlang durch Baden-Württemberg gefahren. Und haben die Menschen gefragt, was sie bewegt. Dieses Mal: Möckmühl.

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Möckmühl - Im Büro von Uwe Thoma sieht vieles nach Bayern aus. An der Wand ein Wimpel des Rekordmeisters und ein Hochglanzkalender mit Bildern von den Alpen. Und dann natürlich dieser Akzent. „Franke durch und durch“, sagt Thoma. Aber er muss sich damit abfinden: Sein Ort zählt zum württembergischen Schwaben, auch wenn sie eigentlich gar keine von denen seien hier.

Möckmühl liegt etwa 30 Kilometer nördlich von Heilbronn, hat 8000 Einwohner, eine Altstadt mit hübschen Fachwerkhäusern und einem Vereinsbaum vor dem Rathaus: 75 Wappen hängen daran. Manchmal kommen Touristen hierher, die den Jagsttal-Radweg fahren. Und vielleicht hat es ein paar Leute außerhalb der Stadt interessiert, dass ein Geschäftsmann aus Frankfurt vor ein paar Wochen die alte Burg gekauft hat, wo sich einst Götz von Berlichingen tapfer gegen den Schwäbischen Bund verteidigte. Aber landesweit hat Möckmühl im vergangenen Jahr durch etwas anders Aufsehen erregt: Bei den Landtagswahlen bekam die AfD hier knapp 25 Prozent Zustimmung – einer der höchste Werte in ganz Baden-Württemberg.

Wenn man Thoma, 53, fragt, warum das so kam, sagt er, es sei aus Protest gewesen. Die vielen maroden Straßen, die Probleme mit der Frankenbahn, die Ladenschließungen in der Innenstadt: Irgendwann hätten die Leute einfach das Gefühl bekommen, man habe sie hier im Unterland schlichtweg vergessen. Selbst nach der Landtagswahl habe sich kein Politiker gekümmert, nicht mal die von der AfD. Viele hätten das Ergebnis einfach auf die hohe Zahl von russischen Spätaussiedlern im Ort geschoben.

Ob es stimmt, dass man Möckmühl vergessen habe, kann Thoma nicht genau sagen

Uwe Thoma kommt von hier, er arbeitet im Rathaus von Möckmühl im Stadtbauamt und ist nebenher stellvertretender Kreisbrandmeister bei der freiwilligen Feuerwehr. Auf das Vereinswesen im Ort ist er stolz, fast 170 Leute sind sie bei der Feuerwehr, und mit Nachwuchs haben sie bislang noch nicht so viele Probleme. Immerhin wächst Möckmühl jedes Jahr um 2,5 Prozent, und seit Kaufland hier vor ein paar Jahren ein großes Logistikzentrum aufgemacht hat, kommen auch mehr Leute zum Arbeiten her, die Arbeitslosigkeit geht zurück.

Ob es wirklich stimmt, dass man Möckmühl vergessen habe, kann Thoma nicht so genau sagen. Denn in den letzten Jahren wurde auch viel investiert, in die Sanierung der Ortsteile zum Beispiel. Oder in das Schulzentrum. Und auch mit der Erschließung von Neubaugebieten und der Ansiedlung von Industrie gehe es gut voran.

Ein paar Meter weiter, im Gasthaus Bären, haben sie einen viel skeptischeren Blick auf die Dinge und auf die Stimmung im Ort. „Beim Bier sagen die Leute ehrlich, was sie denken“, sagt Simone Boos, 48, die Wirtin. Manchmal so ehrlich, dass sie rote Ohren bekomme. Seit 60 Jahren gibt es den Bären, eine Metzgerei mit angeschlossenem Lokal. Damit alles läuft, arbeiten sie hier selbst und ständig, wie Boos sagt: Mutter Christel, Schwägerin Daniela und Wirtin Simone in dem Ladengeschäft, der Küche, dem Gasthaus. Markus Boos, der Bruder, in der Wurstküche an den Maschinen.

Die größte Sorge in der Stadt, da sind sie sich einig, ist die Schließung des Krankenhauses

Jetzt, am Vormittag, ist es noch ruhig im Laden. Simone Boos schneidet ein Putensteak in feine Streifen, und hinten, in der Küche, fangen sie mit den Kässpätzle für den Mittagstisch an. Die größte Sorge in der Stadt, da sind sie sich hier einig, ist die geplante Schließung des Krankenhauses bis 2019. Und die stand noch nicht einmal fest, als viele Möckmühler bei der Landtagswahl für die AfD stimmten. 80 Betten hat das Gebäude oberhalb der Altstadt und einen guten Ruf für seine Orthopädie.

Trotzdem hat der Kreistag in Heilbronn im vergangenen Herbst beschlossen, die stationären Abteilungen in die großen Kliniken in Heilbronn und Bad Friedrichshall einzubinden. Die Zahlen der Klinik seien nicht gut, hieß es damals. Außerdem gelte es, medizinische Kompetenzen zu bündeln. Das neue Krankenhausstrukturgesetz gebe die Richtung vor: mehr Operationen, mehr Qualität – nur dann auch mehr Geld. Dies könne eine kleine Klinik wie Möckmühl nicht stemmen, so wurden die Kreisräte in der Zeitung zitiert. Aber so ganz können das viele im Ort nicht glauben – eher, dass die Schließung schon jahrelang feststand und dass die Politik sie hier, auf dem Land, einfach zusammensparen will.

Jetzt plant der Klinikbetreiber, in Möckmühl ein Gesundheitszentrum aufzubauen mit einer ambulanten Grundversorgung. Nur habe man hier sowieso schon Probleme, Ärzte im Ort zu halten oder neue zu bekommen, sagt Simone Boos. Und wer operiert werden muss oder Krankenbesuche machen will, müsse künftig dann mehr als eine halbe Stunde fahren.

„Früher war Möckmühl eine lebende Stadt“

Vom Gefühl, auf dem Land nicht richtig wahrgenommen zu werden, sprechen sie oft im Bären – nicht nur, wenn es um das Thema Krankenhaus geht. „In Stuttgart verbauen sie Milliarden für einen teuren Bahnhof, und unsere Strecken hier sind vollkommen veraltet“, sagt Simone Boos. So ähnlich würden viele im Ort das auch beim Thema Flüchtlinge sehen. Kaum jemand könne verstehen, dass für deren Integration Geld da sei, für die kaputten Straßen oder die schlechten Betonplatten auf der Autobahn bei Möckmühl aber nicht. „Da bekommt man das Gefühl, die Politiker sind ganz weit weg“, sagt Boos. „Man könnte doch vieles machen und vieles in eine andere Richtung lenken, wenn man die Meinungen der Leute hier ernst nimmt.“

Vor einer Weile hat jemand von der AfD bei Simone Boos angerufen, um zu fragen, ob sie bei ihr im Lokal einen Parteistammtisch aufbauen könnten. Sie hat abgelehnt, sie will keine politische Brandstifterin sein. Wenn man die AfD bei sich im Gastraum habe, setze man in einer Kleinstadt wie Möckmühl schon ein deutliches Zeichen, sagt sie. „Dann verschiebt sich hier die Landschaft in eine Richtung. Nur immer dieses Dagegen kann’s ja auch nicht sein, ich brauche ja auch eine Lösung dazu.“

Im Württemberger Hof, gleich hinter dem Möckmühler Bahnhof, ist die Stube an diesem Abend voll, weil es draußen regnet und die anderen Gasthäuser nicht mehr offen haben. Alle paar Wochen ist Klassentreffen vom Abschlussjahrgang 1958, Geburtsjahr 1943/44. Zu zehnt sitzen sie an diesem Abend um den Tisch bei Frankenwein und Apfelsaftschorle. Zwei Zugezogene sind auch dabei. Geduldet, sagen die anderen, und ein paar lachen. So fremdenfeindlich sei man hier eben doch nicht, wie nun viele denken.

„Manche, die jetzt motzen, sind selbst nie in das Krankenhaus im Ort gegangen“

Wie hat sich Möckmühl verändert, seitdem sie hier ihren Schulabschluss gemacht haben? „Früher war Möckmühl noch eine lebende Stadt“, sagt einer, „da war in der Innenstadt noch was los. Heute nicht mehr.“ Man sei hier halt am äußersten Zipfel vom Kreis Heilbronn, sagt die Frau, die sie Christel nennen. Die Läden, die dichtmachen, die Supermärkte, die nach draußen gehen an den Stadtrand, weil es da Parkplätze gibt, und die Polizeistation, die inzwischen nachts unbesetzt bliebe. „Und jetzt auch noch das Krankenhaus.“ Ja, man könne sich wirklich vergessen fühlen in Möckmühl. Ein paar aus der Runde fangen an zu widersprechen. Man bekomme doch alles in Möckmühl, sagen sie, und den Strukturwandel spüre man auf dem Land doch überall. „Manche von denen, die jetzt über die Krankenhausschließung motzen, sind selbst nie dorthin gegangen, wenn sie sich behandeln lassen mussten“, sagt eine. „Es wird viel auf die Politik geschimpft, aber ein bisschen hat man es ja auch immer selbst mit in der Hand.“

Uwe Thoma glaubt das auch. Aber er denkt auch, dass die Politiker etwas tun müssen, damit sich die Leute nicht vergessen fühlen. Herkommen zum Beispiel und den Bürgern Rede und Antwort stehen. Viel habe sich nämlich nicht getan nach der letzten Landtagswahl.

Von Thomas Büro im Rathaus aus sieht man auf den Marktplatz. Unten, vor dem Gasthaus Bären, räumen sie gerade die Schirme raus für den Mittagstisch. Vielleicht wird es am 24. September bei der Bundestagswahl wieder einige Proteststimmen geben hier in Möckmühl. Vergessen werden wollen die Leute hier nicht.

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*Im Text war zuvor davon die Rede, dass Uweo Thoma Bauamtsleiter ist: Er ist technischer Koordinator im Stadtbauamt.