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Pazifistin, Politikerin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin. Anna Haag war eine Frau mit vielen Facetten. Anlässlich ihres 30. Todestags gibt es viele Veranstaltungen.

Bad Cannstatt - Arnulf Klett und seinen Kollegen dürfte es in diesem Moment die Sprache verschlagen haben. Doch sie haben Wort gehalten. Als ein Dutzend Frauen der „Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Frauen“ mit einem Scheck über 170 000 Mark vor ihnen stand, verdoppelten sie die gesammelte Summe wie versprochen und stellten zudem einen Bauplatz zur Verfügung. An der Gnesener Straße in Bad Cannstatt entstand für das Geld ein Wohnheim für 100 Frauen und Mädchen samt Freizeiträumen und Bibliothek. Benannt wurde das Haus nach dem Motor und der Gründerin der Arbeitsgemeinschaft, Anna Haag.

Geboren 1888 in Althütte im Welzheimer Wald war ihr Leben geprägt von der Not zweier Weltkriege. Als ihr Ehemann, der Mathe- und Physiklehrer Albert Haag, 1914 zum Wehrdienst eingezogen wurde, war Anna Haag auf sich alleine gestellt. In Bukarest musste sie den Lebensunterhalt für sich und zwei kleine Kinder verdienen. Sie leitete ein Flüchtlingsheim und baute ein Heim für deutsche Helferinnen auf. 1919 kehrte die Familie nach Deutschland zurück und lebte in Nürtingen, wo ihr drittes Kind zur Welt kam.

Eine von fünf Frauen im ersten Landtag

1927 zog die Familie nach Feuerbach. Albert Haag unterrichtete am Realgymnasium, Anna Haag veröffentlichte Kurzgeschichten, pädagogische Betrachtungen und ihren ersten Roman „Die vier Roserkinder“. Das Ehepaar trat in die SPD ein, Anna Haag engagierte sich in der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“. Als Gegner des NS-Regimes wurden die Haags zu Außenseitern, 1939 zog die Familie nach Sillenbuch, in ein Wohngebiet, in dem viele „kritische Geister“ lebten. Anna Haag führte ein Kriegstagebuch, das sie nach jedem Eintrag sorgsam im Kohlenkeller versteckte, weil es gespickt war mit kritischen Kommentaren.

Krieg und Diktatur sollte es in Deutschland nie wieder geben, schwor sich Anna Haag. Nach Kriegsende wollte sie dazu beitragen und helfen, Stadt und Land wieder aufzubauen. Sie trat erneut der SPD bei und wurde Mitglied des städtischen Beirats, einem Vorläufer des heutigen Gemeinderats. 1946 wurde sie als eine von nur fünf Frauen unter 100 Abgeordneten in den ersten Landtag von Baden-Württemberg gewählt. Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes geht auf Anna Haag zurück: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“

Anna Haag war nicht nur Pazifistin, Politikerin und Schriftstellerin, sondern auch Frauenrechtlerin: Sie trat ein für die Anerkennung von Hausarbeit als Berufstätigkeit und plädierte für eine Aussetzung von Strafverfahren bei Abtreibung. Die Lebenssituationen von Frauen zu verbessern und ihnen Lebensperspektiven zu ermöglichen, motivierte sie zur Gründung des Wohnheims für allein stehende Frauen und Mädchen in Cannstatt. Ein Ort zum Wohnen, war sie überzeugt, sei der wichtigste Grundstein, auf dem sich junge Frauen in der Nachkriegszeit ein neues Leben aufbauen konnten.

das Anna-Haag-Haus ist der Gründungsmotivation treu

Bis heute sieht sich das 1951 eröffnete Anna-Haag-Haus, das im Jahr 2007 in einen Neubau an der Martha-Schmidtmann-Straße umgezogen ist, dieser Gründungsmotivation verpflichtet. Nach dem Vorbild einer Großfamilie sind in dem ältesten Mehrgenerationenhaus Deutschlands ein Seniorenzentrum, eine Kindertagesstätte und eine Bildungsstätte für junge Männer und Frauen unter einem Dach vereint. Sie alle wollen sich in diesem Jahr gemeinsam an „eine außergewöhnliche Frau mit vielen Facetten“ erinnern, sagt der Vorstandsvorsitzende Jörg Schnatterer.

Am vergangenen Freitag, dem 30. Todestag der Namensgeberin, begann das Programm im Anna-Haag-Jahr, das wesentlich geprägt wird von Studentinnen und Studenten der Hochschule der Medien. Die angehenden Bibliothekare haben in den vergangenen Monaten daran gearbeitet, die Biografie Anna Haags erlebbar zu machen. Sie haben ein Kinderbuch entworfen, Postkarten mit Bildern und Zitaten gestaltet und einen Anna-Haag-Spaziergang konzipiert. Das Thema sei anfangs nicht leicht zugänglich gewesen, nach und nach habe sich Anna Haag aber als faszinierende Persönlichkeit herausgestellt. „Anna Haag brachte bereits damals frauenpolitisches Engagement und Familie in Einklang und hat damit den Grundstein für die moderne Frau von heute gelegt“, sagen die Studentinnen.

Das Anna-Haag-Haus

Der Anna Haag Mehrgenerationenhaus e.V. ist seit 35 Jahren Träger und Betreiber des Hauses. Intergeneratives Leben steht im Mittelpunkt. Das Sozialunternehmen mit drei Tochtergesellschaften bietet außerdem Dienstleistungen in den Bereichen Hauswirtschaft, häusliche Pflege und Betreuung an.

Anlässlich des 30. Todestags seiner Namenspatronin gibt es Veranstaltungen: Am 30. März stehen Spiele aus Anna Haags Kindheit auf dem Programm, am 23. Juni können Interessierte den literarischen Spuren von Anna Haag folgen. Noch nicht terminiert, aber in Planung sind eine szenische Lesung sowie weitere Literaturspaziergänge und -rundfahrten. ani