Szene aus „Medea.Matrix“ in Duisburg Foto: Julian Roeder/Ruhrtriennale

Die Regisseure Susanne Kennedy und Ivo van Hove versehen zum Abschluss der Ruhrtriennale die Leitthemen des Festivals – Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit – mit besonders großen Fragezeichen.

Duisburg - Stalin, so erzählt es dessen Tochter Swetlana in einem Buch, habe von seinem Arbeitszimmer in seinem Landhaus gern auf Bienenstöcke geschaut: auf Staaten aus lauter Individuen, die sich gleichermaßen unterordnen und funktionieren. Dass sie von einer Königin beherrscht werden, tut nichts zur Sache, die Analogie zum angestrebten idealen Sowjetstaat ist einfach zu passend, um sich von solchen Details stören zu lassen. Die Diktatur des Weibes: Bilder übereinander krabbelnder Bienen empfangen auch den Besucher der Theaterinstallation „Medea.Matrix“ in der Gebläsehalle in einem still gelegten Hüttenwerk in Duisburg. Die viel gefragte, 1977 geborene Regisseurin Susanne Kennedy, die von 2017 an bei dem umstrittenen designierten Berliner Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon arbeiten wird, hat dieses Bild gewählt, das wie kaum ein anderes für die Machbarkeit des Matriarchats steht. Bevor der Zuschauer am Donnerstag in der kirchenschiffförmigen Halle Platz genommen hat, marschiert er, am Eingang zum Schweigen aufgefordert, an seit 1985 nicht mehr benutzten Gerätschaften vorbei – hier hat schon lange kein Mann mehr schweißtriefende Arbeit verrichtet, hier wurde schon lange kein Hochofenwind mehr erzeugt, der zur Schmelzung des Roheisens notwendig ist. Der letzte Macho, der in diesem Tempel der Männlichkeit seinen großen Auftritt hatte, war seinerzeit Horst Schimanski: bei der Premierenfeier für den „Tatort“ mit dem inzwischen gestorbenen Götz George.

„Medea“-Passagen werden kombiniert mit Alltags-Textsequenzen

Teil des halbstündigen Parcours ist auch der andächtige Marsch hinter die Kulissen, zwischen Maisstängeln, an maskierten Frauen mit verfremdeten Uterus-Bild-Schürzen vorbei, die Eier in Plastikschalen kreisen lassen. Man sieht Videos (Markus Selg, der auch den Raum konzipiert hat) von Urwäldern, Reisfeldern, Wolfsrudeln, und man sieht eine übermenschgroße Statue, auf die Heiligenbilder projiziert werden. Kennedy kombiniert die wilden Bilder mit wenigen „Medea“-Passagen und vielen Alltags-Textsequenzen, die wie aus dem Wartezimmer eines Frauenarztes abgelauscht klingen. Neben Kaiserschnittnarben und dunklen Ausflüssen hört man Fantasien von Philosophen wie Platon: „Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt“. Und überraschend aktuell wirkendes Politisches von Adorno: „Wie Frauen den ungerührten paranoiden Mann anbeten, sinken die Völker vor dem totalitären Faschismus in die Knie“.

Ein bisschen Bio-Philosophie-Unterricht auf Speed – und im Zentrum dieses Bilder- und Textwirbels: die Schauspielerin Birgit Minichmayr, der nackte Bauch stets gut ausgeleuchtet. Sie verweigert sich dem ewigen Opferspiel, das „Medea“ ja auch ist: Mann verlässt Frau, im Exil lebend, für eine jüngere. Frau rächt sich, indem sie nach langem Zaudern die Kinder ermordet. Keinerlei Wehklagen an diesem Abend. Eine Stunde lang steht Birgit Minichmayr ungerührt auf einem weißen Altar, lässt sich zu nichts bewegen als dazu, in trotziger Pose zu wiederholen: „Wollt ich dreimal lieber doch in Schlachten stehen als gebären einmal nur!“ Eine coole Hohepriesterin der Verweigerung jeglicher Unterwerfung.