Das Luftbild zeigt das französische Atomkraftwerk (AKW) Fessenheim am Ufer des Flusses Rhein in Fessenheim im Elsass, Frankreich, in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze bei Bremgarten in Baden-Württemberg. Foto: dapd

„Zufriedenstellend“ sei die Sicherheit der Kernkraftwerke , urteilte kürzlich die EU. Doch Grün-Rot sieht das anders. Das Land ließ die beiden ältesten Anlagen Fessenheim und Beznau neu bewerten: Heraus kam eine lange Mängelliste.

Fessenheim - Die beiden grenznahen Kernkraftwerke Fessenheim (Frankreich) und Beznau (Schweiz) haben nach Ansicht von Gutachtern erhebliche Sicherheitsmängel. Der Schutz vor Erdbeben und Überflutung lasse ebenso zu wünschen übrig wie die Sicherheit der Brennelemente-Lagerbecken sowie die Notstrom- und Kühlwasserversorgung, heißt es in dem Bericht des Öko-Instituts Darmstadt und des Physikerbüros Bremen.

Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), der die Expertise in Auftrag gegeben hatte, zeigte sich alarmiert: „Unsere Befürchtung, dass Fessenheim und Beznau nicht die erforderlichen Sicherheitsstandards erfüllen, hat sich bestätigt.“ Vor allem Fessenheim müsse so früh wie möglich vom Netz. Den von Präsident Francois Hollande genannten Abschalttermin 2016 nannte Untersteller „zu spät“.

Der Hauptgrund für das Gutachten ist, dass die Landesregierung den sogenannten Stresstest der EU für unzureichend hält. Eine Bewertung des Sicherheitsniveaus sei auf dieser Basis nicht möglich, sagte Untersteller. Der Anfang Oktober von Energiekommissar Günther Oettinger vorgestellte Bericht über 145 Reaktoren ging zum Beispiel nur am Rand auf den Schutz vor Flugzeugabstürzen ein.

Gleichwohl stützen sich die Gutachter in Darmstadt und Bremen im wesentlichen auf die Unterlagen, die Betreiber und nationale Aufsichtsbehörden im Zuge des EU-Stresstests erstellt haben. Sie bewerten sie allerdings nach deutschem Maßstab – analog zu dem Test, den die Reaktorsicherheitskommission nach Fukushima entwickelt hat.

Die beiden Reaktorblöcke am Rheinseitenkanal sind nur unzureichend gegen Hochwasser geschützt

Für das im Oberrheingraben stehende Atomkraftwerk Fessenheim kommen sie zum Schluss, dass die Sicherheitsreserven gegen Erdbeben „deutlich geringer als diejenigen der deutschen Anlagen“ sind. Die Notstromversorgung zum Beispiel sei nur einfach, nicht aber wie üblich mehrfach gewährleistet. Auch die Pumpen, Rohre und anderen technischen Anlagen hätten in der erdbebengefährdeten Region keine Reserven. Im Frühjahr hatte deshalb auch die französische Aufsichtsbehörde ASN höhere Anforderungen an Fessenheim gestellt.

Die beiden Reaktorblöcke am Rheinseitenkanal sind nach Ansicht der Gutachter aber auch nur unzureichend gegen Hochwasser geschützt. Sie warnen davor, dass die gesamte Anlage im ungünstigsten Fall vom Rhein überflutet wird. Ob die Deiche halten, hat auch die ASN bereits kritisch hinterfragt: Sie fordert vom Betreiber EdF Nachbesserungen.

Nur wenig besser sieht das Urteil über die beiden Blöcke des schweizerische Kernkraftwerks Beznau aus. Die beiden dienstältesten Reaktoren der Welt stehen auf einer künstlichen Insel im Fluss Aare – nur wenige Kilometer entfernt von Waldshut-Tiengen. Nicht weit entfernt davon steht auch das schweizerische Kernkraftwerk Leibstadt.

Auch für Beznau kommen die Gutachter zum Schluss, dass seine Grundauslegung nicht dem Sicherheitsstandard deutscher Anlagen entspricht. Allerdings fällt ihr Urteil positiver aus als über Fessenheim. So sei die Notstromversorgung für die Reaktoren über ein Wasserkraftwerk sowie mehrere Dieselaggregate gewährleistet. Die Notfallvorsorge sei also fast vergleichbar mit deutschen Anlagen.

„Die grundlegenden Schwächen aus einem Design der 1960er und 1970er Jahre lassen sich auch mit Nachrüstung nicht beheben“

Auf den Sicherheitsstand von Neckarwestheim II (seit 1989 in Betrieb) wird aber auch Beznau wohl nicht kommen. „Die grundlegenden Schwächen aus einem Design der 1960er und 1970er Jahre lassen sich auch mit Nachrüstung nicht beheben“, sagte Umweltminister Untersteller. Er hat das Gutachten jetzt den nationalen Regierungen in Frankreich, der Schweiz und Deutschland zugeschickt.

Grüne, SPD und Umweltschützer haben unterdessen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, sich für eine schnelle Abschaltung von Fessenheim und Beznau einzusetzen. Wenn man die deutschen Atommeiler als unsicher einstufe und deshalb abschalte, müssten auch die noch gefährlicheren Kraftwerke jenseits der Grenze vom Netz gehen, meint etwa der Landeschef des Nabu, Andre Baumann.

Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann erwartet in Paris und Berlin eine rasche Reaktion auf das neue Gutachten: „Wenn der französische Präsident den Reaktor Fessenheim noch während seiner Amtszeit abschalten will, weil er alt und gefährlich ist, so gibt es keinen Grund, dies nicht sofort zu tun.“ Das Kraftwerk sein abgeschrieben, die Energieversorgung Frankreichs nicht gefährdet, die Risiken seien bekannt. Sitzmann: „Also worauf warten?“

Untersteller will demnächst auch persönlich bei Umweltministerin Delphine Batho vorsprechen – sie ist Mitglied der sozialistischen Partei. Auf seinen Brief mit der Bitte um einen Gesprächstermin hat er allerdings noch keine Antwort.