Der Stuttgarter Fernsehturm muss wegen gravierender Mängel beim Brandschutz schließen. Foto: dpa

Nach 57 Jahren und knapp zwei Monaten bleibt der Eingang zum Stuttgarter Fernsehturm an diesem Donnerstag dauerhaft zu: aus Brandschutzgründen geschlossen. Wiedereröffnung völlig ungewiss. Der Südwestrundfunk (SWR) als Eigentümer will aber nach einem Ausweg suchen.

Stuttgart - Die Überraschung war am Mittwoch perfekt. Personal, Gastronomen und Besucher im Fernsehturm – bis zum Nachmittag sind sie alle völlig ahnungslos gewesen. Wie die Medien und die übrige Öffentlichkeit. Erst um 15 Uhr lässt OB Fritz Kuhn (Grüne) in einer eilends einberufenen Pressekonferenz im Rathaus die Bombe platzen: Der Fernsehturm, das Wahrzeichen Stuttgarts, wird geschlossen. Das falle ihm schwer, sagt Kuhn, weil er um die emotionale Bedeutung für die Stuttgarter wisse. In der Nacht zuvor hätten er und vermutlich auch die Berater, die ihm am Dienstag berichteten, schlecht geschlafen. Aber mit zwei Aufzügen und einer engen Treppe im Turmschaft könne er den Betrieb mit dem Wissen, das er habe, nicht mehr weiterlaufen lassen. Der Intendant des Südwestrundfunks, Eigentümer des Fernsehturms, habe dafür Verständnis gezeigt.

Wie es zur Schließung kam, versuchen Kuhn, seine Bauexperten und der Branddirektor Frank Knödler bei der Pressekonferenz zwar zu erklären – richtig klar wird es trotzdem nicht. Denn erst 2011 war bei der Sanierung des Fernsehturms auch der Brandschutz auf den neuesten Stand gebracht worden, heißt es beim SWR. Jetzt spricht Kuhn von einer Neubewertung des Brandschutzes und des Sicherheitsrisikos. Ergebnis: Es gebe keine Fluchtwege, die den aktuellen Anforderungen des Feuerschutzes entsprechen würden. Es gebe keine zwei voneinander unabhängigen Fluchtwege. Im Falle eines Brandes könnte der Turm zu einer Todesfalle werden. Gemäß Landesbauordnung müsse er mit sofortiger Wirkung den Turm für die Öffentlichkeit schließen, sagt Kuhn nach internen Vorberatungen, in denen man offenbar auch über eine Rettung von Besuchern mit dem Hubschrauber nachgedacht hat. Doch das scheitere an den baulichen Gegebenheiten wie dem Antennenaufbau, verlautet aus dem Rathaus. Die vollständige Evakuierung mit den Aufzügen und dem Treppenhaus würde mindestens eine Stunde dauern, sagt Kuhn. Zu lang.

Die Treppe, die durch den Turmschaft führt, sei nur etwa 50 Zentimeter breit und sehr steil, sagt Kirsten Rickes, Leiterin des Baurechtsamts. Das stelle ein großes Problem dar, wenn man viele Menschen evakuieren müsste. Im Idealfall wäre so eine Treppe einen oder sogar 1,20 Meter breit – oder zum Schutz vor Rauch wenigstens umbaut. Das sind allerdings Erkenntnisse, die mindestens 57 Jahre vorliegen. Ob es keine regelmäßigen Termine zur Brandverhütung gebe und warum die Probleme nicht früher thematisiert wurden, wollen die Journalisten wissen.

„Wir haben die Problematik neu wahrgenommen“, sagt der Feuerwehrchef

Alle fünf Jahre, sagt Rickes, gebe es solche Brandverhütungsschauen. Dabei werde überprüft, ob die in den Baugenehmigungen formulierten Anforderungen umgesetzt seien. Das grundsätzliche Funktionieren des Fernsehturms aufzugreifen sei da nicht vorgesehen. Städtebaubürgermeister Matthias Hahn formuliert es anders. In die Tiefe dieser Problematik begebe man sich normalerweise erst dann wieder hinein, wenn neue Anträge für Nutzungen vorliegen und es um eine neue Baugenehmigung gehe. Wie jetzt, als das Theater unter den Wolken nach sieben Jahren Betrieb im Fernsehturm eine neue Genehmigung beantragte. „Die große Tiefe des Einstiegs in die Materie“ sei auch durch neue Mitarbeiter zustande gekommen, die den Turm bisher nicht gekannt hätten. „Es ist noch keine vier Wochen her, dass sie Alarm schlugen“, sagt Hahn. Seither habe man die Risiken neu abgeschätzt.

Ähnlich die Lage bei der Branddirektion. Ihr Chef Frank Knödler hat sich des Themas jetzt selbst angenommen. „Wir haben die Problematik neu wahrgenommen“, sagt der Feuerwehrchef, obwohl man sich früher auch regelmäßig mit dem Fernsehturm beschäftigt habe, nach Sprinklern zum Löschen von Feuern geschaut und sich vergewissert habe, dass man im Brandfall das Turminnere mit Stickstoff fluten könnte. Obwohl man permanent am Einsatzplan gearbeitet habe. Es gebe bis heute viele brennbare Bauteile im Turm und nur einen Rettungsweg im Innern, aber „keinen gesicherten ersten Rettungsweg ins Freie“, wie das bei anderen Gebäuden der Fall sei. „Dieses Problem“, sagte Knödler, „besteht seit 57 Jahren.“ Zum Glück kenne er aus den letzten vier Jahren nur zwei Alarmfälle. Einer, ein Schmorbrand im Technikraum, habe sich Gott sei Dank schon wieder erledigt gehabt, als die Feuerwehr am Fernsehturm eintraf.

Fernsehtürme in anderen Städten seit Jahren geschlossen

Am Ende wirken alle Erklärungsversuche, warum es jetzt zu dieser Turmschließung kam und nicht früher, nicht wirklich zwingend. Auch nicht die Begründung von OB Kuhn, dass sich die Risikobetrachtung bei Bauwerken und Versammlungsstätten in den letzten Jahren geändert habe. In einigen anderen deutschen Städten wie Dresden seien die Fernsehtürme seit Jahren schon geschlossen. In der Landesbauordnung habe es noch 2004 Änderungen in Sachen Fluchtwege gegeben. Früher habe man sich in Stuttgart eben mehr auf Sprinkler und dergleichen im Turm konzentriert, jetzt auch auf die Fluchtwege.

Warum die Verwaltung früher anders an die Sache heranging als jetzt? Das, sagte Kuhn auf Fragen, „arbeiten wir intern auf“. Man könne sich fragen, ob früher zu leichtfertig auf den Fernsehturm geschaut worden sei, räumt Kuhn ein, „aber jetzt haben wir genau geschaut“. Das bedeute nun nicht, dass man eilends durch die Stadt gehe, dass man außerhalb der üblichen Verfahren systematisch nach Sicherheitsmängeln in anderen Gebäuden suche und sie schließe. „Aber die Sensorik des Hinschauens nimmt zu“, sagt Kuhn.

Bleibt die Frage, ob der Fernsehturm dauerhaft dicht bleibt. Ob die Menschen von dort nie mehr auf die Stuttgarter Stadtlandschaft hinunter oder in Richtung Alb schauen werden. Das hänge davon ab, sagt Kuhn, ob man mit dem SWR zusammen bauliche oder organisatorische Lösungen finden werde. Leicht sei das nicht. Der SWR, der auch von der Schließung überrascht wurde, will das Bauwerk für die Bürger erhalten.