Die Waldheime bieten genügend Freiraum zum Spielen und Toben. Foto: Leif Piechowski

Die Neu- und Umbauten sind rechtzeitig fertig geworden. Nun machen die Handwerker Platz in den Waldheimen. Auch Flüchtlinge bewerben sich vermehrt um ein Ehrenamt dort. Ein Waldheim hat mit einer besonderen Baustelle zu kämpfen.

Stuttgart - Der Tartanboden auf dem Sportfeld im Waldheim Möhringen ist nahezu jungfräulich. Die Spielfeldmarkierungen leuchten in vielen Farben, beim Laufen federn die Schritte. Dahinter ein nagelneues Gebäude mit einer Holzveranda im Wert. Baupreis: rund 450 000 Euro.

„Wir hatten zu wenig Platz, jetzt ist die Lage entspannter“, sagt Ernst-Martin Lieb, der Geschäftsführende Pfarrer der Möhringer Kirchengemeinde. Auf das, was früher dort stand, können die Kinder in den nächsten fünf Wochen gut verzichten: Es waren die alten Liegeräume, in dem früher auf Feldbetten Mittagsruhe – und der Schnabel – gehalten werden musste. „Heutzutage spielen Kinder Karten in der Ruhezeit oder knüpfen Armbänder, vor allem die Mädchen“, sagt Waldheimleiter Andy Miller.

1,6 Millionen Euro von der Stadt Stuttgart

Auch die evangelische Kirchengemeinde Sillenbuch biegt in die Zielgerade ein. Der Neubau für das Waldheim am Eichenpark ist pünktlich zu den Ferien fertig und wird mit einem Gottesdienst und Führungen am Sonntag, 30. Juli, eröffnet. Im Herbst zieht die deutsch-französische Vor- und Grundschule École Maternell als Mieter ein. 1,6 Millionen Euro wurden investiert.

Zwischen 8500 und annähernd 9000 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 14 Jahren werden mit Beginn der großen Ferien in den 32 Stuttgarter Waldheimen erwartet. Die Tradition ist tief verwurzelt in Stuttgarts Familien, so dass zumeist nicht lange geworben werden muss um ehrenamtliche Helfer. In den kleinen Schulferien tun sich die Träger – evangelische Kirche, katholische Kirche, Arbeiterwohlfahrt – damit allerdings schwerer. „Im vergangenen Jahr musste deshalb die Freizeit in Kaltental ausfallen“, sagt Uli Seeger von der AG Waldheime.

Außerdem deckten Schulen inzwischen vermehrt Ferienzeiten ab. Insgesamt sank die Kinderzahl in den Winter-, Oster- Pfingst- und Herbstferien von 580 (2015) auf rund 380 im Jahr 2016. Im Sommer ist das anders: „Diesmal waren 150 und 170 Küchenmitarbeiter bei der Hygieneschulung, die das Infektionsschutzgesetz vorschreibt“, sagt Seeger. Ohne Schulung dürfe er keinen in die Küche lassen. In Vaihingen mussten überzählige Bewerber sogar abgewiesen werden. Neben Eltern und Großeltern kommen vermehrt auch Flüchtlinge zum Helfen.

„Immer mehr Heime fragen, ob wir Leute als Ehrenamtliche brauchen und aufnehmen“, so Seeger. Aus dem Grund sei das Skript zur Hygieneschulung in mehrere Sprachen übersetzt. Die erwachsenen Flüchtlinge kommen gern, weil auch ihre Kinder gern ins Waldheim gehen. Im vergangenen Jahr waren es rund 600. Der Beitrag wird mit der Bonuscard beglichen. Im Vergleich zum Jahr 2013 stieg der Anteil der Kinder mit Bonuscard von 22,1 auf inzwischen 29,6 Prozent. Der reguläre Elternbeitrag liegt bei 82 Euro pro Waldheimwoche, Alleinerziehende zahlen 48,70 Euro inclusive Verpflegung und VVS-Kinderfahrkarte fürs gesamte Netz.

Waldheimkinder dürfen im ganzen Netz der VVS fahren

Insgesamt haben im vergangenen Jahr fast 2700 Kinder beitragsfrei an den Waldheimfreizeiten teilnehmen können. Die Stadt trug die Kosten in Höhe von 412 000 Euro. Die 20-Prozent-Ermäßigung für Besitzer von Familiencards kostete die Stadt 44 000 Euro. Zusammen mit einem Zuschuss in Höhe von sieben Euro pro Kind und Tag förderte die Stadt im Jahr 2016 die Waldheimfreizeiten mit insgesamt rund 1,3 Millionen Euro.

Einwände gegen S-21-Baustelle

Das Waldheim Schmellbachtal, das einzige außerhalb Stuttgarter Markung, wird auch von Leinfelden-Echterdingen bezuschusst. Es nimmt Kinder aus Vaihingen, Rohr und Leinfelden auf – und liegt südwestlich der künftigen S-21-Baustelle Rohrer Kurve. „Das Katholische Stadtdekanat hat als betroffener Anlieger im Jahr 2013 Einwendungen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens gemacht“, sagt die Pressesprecherin Nicole Höfle. „Man wollte darauf hinweisen, dass der Parkplatz Häule unverzichtbar für den Pächter der Waldwirtschaft ist und die Zufahrt für den Buszubringer gebraucht wird.“

Wie viele Lastwagen dort täglich fahren werden, „hat die Bahn nicht mitgeteilt“, sagt Eva Noller, die 1. Bürgermeisterin von Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen). Der Bauabschnitt sei „im Genehmigungsverfahren“, so ein Sprecher des Bahnprojekts S 21. Die Transportlogistik verlaufe auf der Vaihinger Straße, nicht auf Feldwegen beim Waldheim.

Eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung

Geschichte:
Zur Wende zum 20. Jahrhundert verfolgten die SPD und die Arbeiterbewegung das Ziel, den Familien der Fabrikarbeiter außerhalb des Stadtkessels einen Ort zur Erholung im Grünen zu bieten, wo die Luft frisch und sauber war. Die Waldheime wurden als Vereine geführt, Mitglieder erhielten Vergünstigungen.

Premiere:
Das erste war das Heslacher Waldheim (1908). 1909 folgte Sillenbuch; daran war die Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin maßgeblich beteiligt; nach ihr wurde das Waldheim später benannt. Außer diesen beiden sind alle anderen Waldheime seit 1922 von der Kirche oder der Wohlfahrt gebaut worden.

Ablauf
: Der Tag beginnt um 8 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück. Danach ist Zeit für Spiel, Sport, Wettkämpfe, Musik, Kunst, Ausflüge. Der Tag endet nach dem Abendessen um 18 Uhr. Die Mahlzeiten werden frisch zubereitet.

www.waldheime-stuttgart.de