Foto: Peter Petsch

Was für ein Schauspiel: Zwei Dutzend Kunden nehmen den Chef eines Fellbacher Küchengeschäfts in die Mangel. Fast alle haben Tausende Euro angezahlt, warten aber seit Monaten vergeblich auf die Lieferung. Der Polizei liegen 20 Anzeigen vor.

Was für ein Schauspiel: Zwei Dutzend Kunden nehmen den Chef eines Fellbacher Küchengeschäfts in die Mangel. Fast alle haben Tausende Euro angezahlt, warten aber seit Monaten vergeblich auf die Lieferung. Der Polizei liegen 20 Anzeigen vor.

Fellbach - Der Küchenlieferant aus dem Industriegebiet in Fellbach-Schmiden steht nach Mitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei unter Betrugsverdacht. In rund 80 bekannten Fällen verlangte er demnach eine Vorleistung in Höhe von 50 Prozent. Bei einem Küchenhersteller seien mehr als 130 Küchen in Auftrag gegeben worden, aber lediglich rund 50 Küchen zur Auslieferung gekommen. Der Rest sei nicht ausgeliefert worden, weil die Küchen nicht von der Firma bezahlt worden sein sollen. 80 Kunden haben demnach eine Anzahlung getätigt, ohne eine Küche erhalten zu haben

20 Anzeigen wurden seit Jahresbeginn erstattet, wobei sich die Schadenshöhe bei 50.000 Euro bewegt. In zwei dieser Fälle, die Anfang 2013 erstattet wurden, „erfolgte im Juni und Juli wider Erwarten die Auslieferung der Küche“, sagt die Staatsanwalschaft. Die Polizei rechnet mit etwa weiteren 60 Personen, die Küchen bei dem Unternehmen bestellt und angezahlt, tatsächlich aber keine Küche erhalten haben. Der Polizeiposten in Schmiden (Telefon 07 11 / 9 51 91 30), bittet diese Personen, sich zu melden. Die Polizei weist im Übrigen „ausdrücklich“ darauf hin, dass die Firma ihren Sitz im Gewerbegebiet und nicht im Schmidener Ortskern hat. „Dort hat ein unbescholtener Mitbewerber seinen Betriebssitz.“

Bereits am Dienstagabend sind Kunden aus der gesamten Region angereist – aus Bad Cannstatt oder Zazenhausen, aus Kornwestheim, Weinstadt, Schwäbisch Gmünd oder gar aus Sonnenbühl südlich von Reutlingen. Sie kennen sich bisher lediglich durch Telefon- und Mail-Kontakt. 20 Leidensgenossen versammeln sich in der Dunkelheit auf dem Gehweg der Welfenstraße. Ein weiterer stößt hinzu und fragt: „Bin ich hier richtig bei der Selbsthilfegruppe der Küchengeschädigten?“

Zwei Kunden durchstöbern die Büros – und werden fündig

Galgenhumor, für den es einen ernsten Hintergrund gibt: Die Geschäftspraktiken der Firma Küchen Paradies auf der anderen Straßenseite. „Im Laden wollen wir den Geschäftsführer zur Rede stellen“, sagt Mario Dietrich aus Weinstadt-Beutelsbach. Denn bisher habe ihn kaum einer der Kunden je zu Gesicht oder an die Strippe bekommen: „Der lässt sich immer verleugnen.“

Drinnen verschwindet ein Mitarbeiter sofort in einem Hinterzimmer. Ein anderer Verkäufer ist langsamer. Alsbald tippt er hektisch auf sein Handy – er wolle den Chef erreichen, der nicht im Haus sei. Doch dessen Smartphone ist angeblich abgeschaltet. Zwei Kunden durchstöbern die Büros – und werden fündig. „Er hat versucht, uns aus dem Raum zu drängen, aber das hat nicht geklappt“, sagt einer der Männer kurz darauf. Plötzlich geht das Licht aus, dann wird’s wieder hell – und Dogan Kibaroglu steht mitten im Raum.

Der Geschäftsführer der im Juni 2007 gegründeten D&Y Küchen Paradies GmbH muss sich einiges anhören. „Der Küchenpreis war bei 5440 Euro, wir haben 2700 Euro angezahlt, die Sie uns schulden“, schimpft Mario Dietrich. Sein Vertrag datiert vom 20. Februar 2013, doch der Liefertermin wurde ein ums andere Mal verschoben. „Wir warten seit sieben Monaten“, klagt Diana Morosow, die ursprünglich aus Sibirien stammt und nun mit Mann und drei Kindern in Zazenhausen lebt. 7000 Euro hat die Familie angezahlt. „Irgendwann hat mir ein Nachbar eine Kochplatte ausgeliehen, damit ich überhaupt für die Kinder Essen kochen kann, und das Geschirr liegt in Kisten auf dem Boden.“ Die Familie habe jetzt einen Kredit aufnehmen müssen, um in einem anderen Geschäft eine Küche zu kaufen, die für kommende Woche zugesagt sei.

Ein anderer klagt: „Ihre Mitarbeiter haben ja immer eine Ausrede. Mal war’s Hochwasser, als das dann aufflog, hieß es, der Laster sei in einen Fluss gefahren – alles Lüge, Sie stehlen uns unser Geld.“ Manche werden deutlich: „Schämen Sie sich denn gar nicht, haben Sie keine Ehre? Sie verkaufen einfach weiter, obwohl Sie genau wissen, dass Sie nicht ausliefern können“, sagt einer aus Leinfelden-Echterdingen.

„Was soll ich machen, wenn ich kein Geld habe?“

Kibaroglu, der dabei von etlichen Handykameras gefilmt wird, wehrt sich in recht sanftem Tonfall. „Keine Angst, hier kriegt jeder sein Geld“, beginnt er seine Replik. Wie es gelaufen sei, „ist nie unsere Absicht gewesen“. Und: „Was soll ich machen, wenn ich kein Geld habe?“ Er habe einen Insolvenzantrag eingereicht. „Sie müssen mir noch zwei bis drei Monate Zeit geben.“

Er verweist auf seine Eventfirmen in Ulm und Stuttgart. Wenn diese gut liefen, würde er alle ausbezahlen. Bereitwillig gibt Kibaroglu auch den von den Kunden hinzugebetenen Journalisten Auskunft, buchstabiert seinen Namen, lässt sich von den Berufsfotografen ablichten. Er sagt: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Und zu den zornigen Kunden: „Ich verstehe Sie.“ Sein Schlusswort: „Wenn’s vorbei ist, lade ich euch alle zum Essen ein.“

Nach knapp zwei Stunden trollen sich die meisten. Dass sie ihr Geld wiedersehen , daran glaubt keiner. „Wir wollen, dass nicht noch mehr Kunden geprellt werden“, sagt Predrag Dzaja aus Gmünd. Er startete die Initiative, nachdem auf einer Internetplattform lauter negative Voten auftaucht waren. „Finger weg“, heißt es da. Der zynischste Kommentar im Internet: „Positiv: Man wird beim Betreten des Ladens nicht erschossen. Negativ: Geld kassieren, nichts leisten, Frechheiten in der Kommunikation.“

Von der Aufregung vom Vorabend ist am Mittwochvormittag übrigens am Ort nichts mehr zu spüren. Kein Schild weist darauf hin, dass das Geschäft womöglich von einer baldigen Schließung bedroht ist. Auch der Verkäufer nimmt das Wort Insolvenz nicht in den Mund. Er räumt lediglich ein, dass man derzeit nicht alle Kundenwünsche erfüllen könne. Verkauft würden hauptsächlich die Ausstellungsstücke. Ob es sich lohne, im Januar wieder zu kommen, fragt der Kunde. Aber sicher, sagt der Verkäufer. Dann habe man wieder ein breites Angebot an Küchen.