Der Wasserwerfereinsatz im Stuttgarter Schlossgarten beschäftigt Dieter Reicherter. Foto: dpa

Dieter Reicherter geriet eher zufällig in die Geschehnisse des „Schwarzen Donnerstags“ im Stuttgarter Schlossgarten. Seither hat der Jurist es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Vorkommnisse aufzuarbeiten und zu dokumentieren.

Fellbach - Der „Schwarze Donnerstag“, also der Tag jenes völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes gegen Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten, jährt sich am 30. September zum vierten mal. Die Ereignisse wurden nicht nur in zahlreichen Dokumentationen und unzähligen Zeitungsartikeln mehr oder weniger genau geschildert, sondern haben auch längst Eingang in die Literatur gefunden. In seinem Krimi „Die letzte Flucht“ schickt Wolfgang Schorlau seinen Detektiv Dengler auf Tour und am Schlossgarten vorbei.

Dieter Reicherter Foto: Archiv
Mit Wolfgang Schorlau trat auch Dieter Reicherter schon gemeinsam vor die Kameras, um die Aufarbeitung der Geschehnisse voranzutreiben. Mit der gleichen Motivation kam der ehemalige Staatsanwalt und Vorsitzende Richter am Stuttgarter Landgericht in den Henri-Dunant-Saal der Stadtwerke Fellbach.

Dass der „Schwarze Donnerstag“ die Gemüter bis heute stark beschäftigt, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass kaum einer der rund 100 Stühle mehr frei war. Das von der Initiative Rems-Murr gegen Stuttgart 21 eingeladene Publikum war auch emotional dabei, zumal viele von ihnen den überhart geführten Polizeieinsatz am eigenen Leib erlebt hatten. In den Saal eingespielte Videosequenzen weckten bei vielen ebenso ungute Erinnerungen wie die detailreichen Schilderungen von Dieter Reicherter und anderer Augenzeugen.

Dass dem 67-Jährigen aus Althütte bei der Aufarbeitung eine wichtige Rolle zukommt, wird schnell deutlich. Moderat im Ton, gelegentlich ironisch, aber mit der feinsinnigen Präzision des langjährigen Juristen formulierend, kann Dieter Reicherter kaum als verwirrter Dauerquerulant durchgehen.

Der Wasserwerfereinsatz steht im Mitteplunkt

Im Mittelpunkt des von einer einstündigen Diskussion abgeschlossenen Informationsabends stand der Wasserwerfereinsatz, der „gegen alle Vorschriften für Wasserwerfer“ stattfand. Nach Dieter Reicherters Hochrechnungen „in der Art eines Milchmädchens“ sind 1300 Verletzte zu beklagen, vornehmlich weil Polizisten mit massiven Wasserstößen und Pfefferspray offenbar gezielt gegen Demonstranten schossen. Dass sie dabei teilweise auch die eigenen Kollegen trafen, steht auf der anderen Seite derselben Medaille. So gesehen hat Dieter Reicherter seine Premiere bei einer Demonstration relativ unbeschadet überstanden: „Außer, dass ich nass geworden bin, ist mir nichts passiert.“

Reicherter verfolgt die Untersuchungsausschüsse

Inzwischen ist es zu seiner Lebensaufgabe geworden, jene Geschehnisse, in die er eher zufällig einen Monat nach seiner Pensionierung geriet, aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Er schreibt, begleitet Prozesse und verfolgt die Arbeit der Untersuchungsausschüsse. „Ich fand die Auftritte beschämend“, sagte er über die Aussagen ehemaliger Spitzenpolitiker des Landes vor dem ersten Untersuchungsausschuss.

Um die politische Dimension geht es auch dem zweiten Referenten, Alexander Schlager, der am „Schwarzen Donnerstag“ verletzt wurde: „Demokratie lebt von einer funktionierenden Öffentlichkeit.“