Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Stadt und Land liegen im Kampf gegen Feinstaub und Stickoxide weit zurück. Der neue Luftreinhalteplan kommt viel später als ursprünglich geplant.

Stuttgart - Die Fortschreibung des Stuttgarter Luftreinhalteplans verzögert sich erheblich. Statt in diesem Frühjahr – wie geplant – dürfte der neue Plan gegen die seit mehr als zehn Jahren zu dicke Luft in der Stadt erst am Jahresende oder im Frühjahr 2017 vorliegen. Einen genauen Zeitpunkt nannte das Landesverkehrsministerium am Mittwoch nicht.

„Ursprünglich war geplant, die dritte Fortschreibung des Luftreinhalteplan bis April / Mai 2016 vorzulegen“, sagt Edgar Neumann, Sprecher des Ministeriums. Das im Januar 2015 der EU übermittelte Konzept sei unter Beteiligung der Öffentlichkeit und einem Gutachters der Universität Dresden bis Juli 2015 weiterentwickelt worden. Es bilde mit den von Arbeitsgruppen der Stadt und des Landes vorgeschlagenen Maßnahmen die Grundlage für die Ausschreibung des Wirkungsgutachtens. „Da aber bereits vorhandene Studien ausgewertet werden mussten, konnte das Gutachten erst im Herbst 2015 ausgeschrieben werden“, so der Ministeriumssprecher.

Nach Informationen dieser Zeitung ist das Verfahren für die von der EU-Kommission in Brüssel verlangte Studie über die genaue Wirkung von Tempolimits oder Fahrverboten für das Regierungspräsidium (RP) Neuland gewesen. Bei früheren Luftreinhalteplänen sei die Wirkung von Maßnahmen bloß geschätzt worden. Daher habe sich das RP mit der Auslobung einer genauen Analyse schwer getan. „Die haben das erst mit einem langen Anlauf hinbekommen“, ist zu hören. Aus diesem Grund hätten die beauftragten Büros für Verkehrs- und Umweltfragen aus Karlsruhe, Heilbronn und Aachen ihre Untersuchungen erst viel später aufnehmen können.

Grundlagen werden frühestens im September vorgestellt

Deren Abschlussbericht soll nach dem Stand der Dinge Ende August vorliegen. Die Grundlagen für den neuen Luftreinhalteplan könnten daher frühestens im September öffentlich vorgestellt werden. „Das ist reine Utopie“, kommentieren Kenner der Verhältnisse die Lage.

Die Anfang 2015 vom Land für März 2016 angekündigte dritte Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Landeshauptstadt war eine Reaktion auf einen blauen Brief aus Brüssel. Wegen der seit 2005 in Stuttgart Jahr für Jahr viel zu dicken Luft drohte die EU-Kommission Ende 2014 mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), falls die Stuttgarter Bürger nicht rasch vor den zu hohen Feinstaubwerten geschützt werden sollten.

Bis Ende Januar 2015 mussten Stadt und Land den Aufsehern in Brüssel schlüssig darlegen, mit welchen zusätzlichen Schritten der „zum Schutz der Gesundheit“ geltende Feinstaubgrenzwert unterschritten werden kann. Die EU rügte die bis dahin ergriffen Maßnahmen als ungenügend.

Auch eine Bürgerbeteiligung

Im Sommer 2015 folgte eine zweite Rüge wegen der zu hohen Stickoxidkonzentrationen. Brüssel bemängelte auch hier die fehlenden Angaben zur Wirkung von Gegenmaßnahmen. Die Kommission wertete dieses Manko als Verstoß gegen ihre Richtlinie und drohte mit einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof. Bei einer Niederlage kämen für jede Grenzwertüberschreitung auf das Land Strafzahlungen in sechsstelliger Höhe zu.

„Wir nehmen die EU-Klagen ernst und betrachten sie als eine umweltpolitische Herausforderung“, erklärt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) damals. Bis zum Jahr 2021 wolle man die Feinstaub- und Stickoxid-Grenzwerte einhalten und deshalb rasch „Szenarien mit wirksamen Handlungsmöglichkeiten vorlegen“. Über eben diese denken die Gutachter, denen die Landeshauptstadt bereits „jede Menge Daten“ liefern musste, allerdings immer noch nach. Dabei geht es konkret beispielsweise darum, um wie viel Prozent ein wechselndes Fahrverbot für Wagen mit geraden und ungeraden Kennzeichen die Schadstoffwerte senken würde. „An dem Thema ist man ganz dicke dran“, heißt es in der Stadtverwaltung. „Die Gutachter sollen ausrechnen, wie viel Stickoxid oder Feinstaub eine solche Maßnahme einspart.“ Die Experten unterlägen keinen Beschränkungen. Vor der Veröffentlichung des neuen Luftreinhalteplans soll es auch noch eine Bürgerbeteiligung geben.

Rechtsanwalt hält City-Maut für möglich

Zuvor wird der Feinstaubstreit am Dienstag in einer öffentlichen Verhandlung am Verwaltungsgericht Stuttgart fortgesetzt. Nach Angaben des Rechtsanwalts Roland Kugler, der einen Neckartor-Anwohner vertritt, ist das Land der Ansicht, dass zusätzliche Maßnahmen nicht verlangt werden könnten, weil es keine wirksamen mehr gebe. „Kugler hingegen hält eine City-Maut, von der 80 Prozent der Straßen in der Stadt erfasst würden, für möglich. Der Bund sei ja nur für Bundesstraßen zuständig. „Für alle anderen Straßen, die 80 Prozent des innerstädtischen Verkehrnetzes bilden, könnte das Land mit einer innerstädtischen Maut bundesweit ein Vorbild sein“, sagt der Anwalt. Das Land räume in seinem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht selbst ein, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine City-Maut bereits gegeben seien, so Kugler.