FDP-Chef Christian Lindner zu Besuch am Konferenztisch der Stuttgarter Nachrichten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

2017 will die FDP wieder in den Bundestag einziehen. Parteichef Christian Lindner hat noch ein wichtiges Datum im Auge: Den 13. März 2016, die Landtagswahl in Baden-Württemberg. Im Interview spricht er über die Neuausrichtung seiner Liberalen, starke Gymnasien, Neid und Kretschmann.

 Herr Lindner, gibt man bei Google Ihren Namen ein, wird als Erstes angeboten: Christian Lindner Wutrede. Erst als Zweites kommt: Christian Lindner FDP. Wie waren die Reaktionen auf Ihren Ausbruch, mit dem Sie im Landtag den Unternehmergeist verteidigten?
Ich habe erst vier Tage später erfahren, dass jemand, wir waren das nicht selbst, einen Ausschnitt aus der Rede von mir bei You Tube eingestellt hat. Jetzt haben sich das bald sechs Millionen Leute angesehen. So etwas ist aber nicht planbar. Ich glaube, dass dieser Redeausschnitt bei vielen einen Nerv getroffen hat, die wie wir keine Lust mehr auf Neid, Spott und Häme haben. Nicht die Steuer- oder Rentenreform stehen bei vielen ganz oben, sondern eine Mentalitätsreform. Lasst mal das „ja, aber“ weg und sagt mal „ja, weil“.
Das Motto Ihres Parteitags vom 15. bis 17. Mai in Berlin lautet „Mehr Chancen durch mehr Freiheit“. Das ist doch die FDP, wie man sie seit Jahrzehnten kennt. Was ist daran Lindner?
Die Frage, auf die Sie hinauswollen, heißt doch: Was ist der innere Kern der FDP. Wir haben den archimedischen Punkt, warum es uns gibt, warum Theodor Heuss einst die FDP gegründet hat, wiedergefunden. Wir leben in einer Zeit, in der der einzelne Mensch klein gemacht wird. Indem er bürokratisiert wird, Beispiel Mindestlohndokumentation-Verordnung. Indem er abkassiert wird durch hohe Steuerschätzungen, aber keine Steuerentlastungen. Indem der Einzelne wieder bespitzelt wird, Beispiel Vorratsdatenspeicherung. Wir wollen, dass der Einzelne groß gemacht wird. Dass er motiviert wird, etwas aus seinem Leben zu machen. Ob das traditionell oder ob das flammneu ist, können Sie interpretieren. Wir glauben daran, dass diese Perspektive fehlt.
Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat die FDP 7,4 Prozent geholt. Sie sagen dennoch, das war noch nicht das Comeback der Partei.
Ich sage ein wichtiges Datum vor der Bundestagswahl 2017: 13. März 2016. Da haben wir drei Landtagswahlen. Auch in Baden-Württemberg. Und hier hat die FDP eine wichtige Funktion. Hier ist ein Politikwechsel möglich. Der ist ja greifbar.
Werden Sie Wahlkampf gegen Ministerpräsident Winfried Kretschmann machen?
Die FPD macht generell keinen Wahlkampf gegen irgendjemanden oder irgendetwas. Sondern für etwas. In diesem Fall für ein wirtschaftlich starkes Baden-Württemberg, wo sich die Tentakeln der bürokratischen Hydra nicht in jeden Winkel schlagen dürfen. Für ein Land, das seine bildungspolitischen Perlen nicht verspielen darf und dazu gehört ohne Zweifel das starke Gymnasium, das nicht einer inneren Vergesamtschulung zum Opfer fallen darf.
Die AfD hat in den Umfragen im Land aktuell etwas verloren. Hat sich die AfD erledigt?
Das interessiert mich nur peripher. Ich sehe die AfD nicht als Wettbewerber der FDP. Wir sind eigentlich in allen Fragen das Gegenteil der AfD. Wir lehnen Ressentiments ab, die wollen Ressentiments salonfähig machen. Wir glauben, dass der transatlantische Freihandel eine enorme Chance, zumal für Baden-Württemberg, ist, die wollen sich hinter nationalen Grenzen verschanzen. Die haben mehr Verständnis für Putin als für Obama. Als Liberaler muss ich Ihnen sagen, wenn ich für die Selbstbestimmung des Einzelnen in unserer Gesellschaft bin, muss ich auch für die Selbstbestimmung der Völker auf der internationalen Bühne sein.
Bei der Bundestagswahl 2017 kann die FDP nicht auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen. Deshalb dürfte es in Ihrem Interesse liegen, dass die Union über 40 Prozent kommt.
Wir schauen jetzt erst mal auf uns. Wir sind eigenständig, wir wollen mit einem eigenen politischen Angebot reüssieren. Und ich glaube, dass wir uns mit diesem Angebot von allen unterscheiden. Wenn ich sage, wir setzen auf den Einzelnen, kann man ja mal vergleichen: Die CDU hat den Staat, die Gemeinde und christliche Werte im Fokus. Die SPD und die Linkspartei haben immer noch den demokratischen Sozialismus in ihren Grundsatzprogrammen. Die Grünen leiten alles von der Ökologie ab – ein wichtiger Wert, aber mit ökologischen Argumenten kann man jede Individualität klein machen, den Mensch erziehen. Mit unserem Ansatz: progressiv, fortschrittlich, individualistisch, haben wir ein attraktives Angebot. Das seine Nachfrage findet.
Das alles traf auch vor der letzten Bundestagswahl auf die FDP und die anderen Parteien zu – das war doch derselbe programmatische Unterbau wie der, den Sie gerade beschrieben haben.
Wir waren und sind eine liberale Partei. Ich stehle mich doch nicht aus einer Traditionslinie heraus, auf die wir stolz sind. Die 1949 begonnen hat mit Theodor Heuss, respektive sogar noch in den Besatzungszonen davor, das geht hier in Baden-Württemberg bis auf 1946 zurück. Im Gegenteil: Ich bin stolz darauf, dass die FDP – wie es neuerdings verächtlich heißt – eine Altpartei ist. Die Entscheidung zur Westbindung, die soziale Marktwirtschaft, eine emanzipatorische Bildungs- und Gesellschaftspolitik, die Vollendung des europäischen Binnenmarkts, die deutsche Einheit in Freiheit, und nach 2010 Europa zusammengehalten zu haben – auf diese historischen Leistungen bin ich stolz.
Warum brauchte die FDP dann ein neues Logo?
Weil wir unseren Traditionsnamen wieder nach vorne gestellt haben. Freie Demokraten. Das ist Freiheit, Freisinn, Freihandel, Freidemokraten. Und außerdem sind Freie Demokraten Menschen, nicht nur eine Organisation. Theodor Heuss hat den Namen nicht umsonst gewählt.