Thomas, Noah und Claudia Ruf (von links) zeigen ein Foto von Lamin Fatty, mit dem sie sich angefreundet haben. Foto: Herschmann

Lamin Fatty, ein 19-jähriger Asylbewerber aus Gambia, ist abgeschoben worden. Sehr zum Unverständnis einer Familie aus Remseck, die sich mit dem jungen Mann angefreundet hatte.

Remseck - Was eine Abschiebung im Einzelfall bedeutet, zeigt die Geschichte von Lamin Fatty aus dem Roncalli-Haus in Oeffingen. Fünfmal ist Claudia Ruf im September in die Haftanstalt Pforzheim gefahren. Dort saß ihr Schützling bis zur vergangenen Woche. Mittlerweile ist der 19 Jahre alte Gambier nach Italien abgeschoben worden. Dort hatte der Afrikaner, im Sommer 2014, Europa betreten.

Beim ersten Abschiebetermin im August war er untergetaucht, doch im Fellbacher Rathaus wurde er knapp drei Wochen später von der Polizei verhaftet. Mit dem Verfahren nicht abfinden wollen sich die Menschen, denen der Flüchtling auch privat ans Herz gewachsen ist. „Diese Schengen-Abkommen und die Dublin-III-Verordnungen sind der größte Mist“, schimpft die 51-jährige Claudia Ruf, die im öffentlichen Dienst arbeitet. Sie und ihr Mann Thomas, 56 und Bürokaufmann, kritisieren die Art und Weise, wie mit dem Gambier umgegangen wird. „Wir haben ihn kennen und lieben gelernt“, sagt Claudia Ruf, die mit ihrer Familie in Remseck lebt.

Suche nach Pfandflaschen im Müll

Die Rufs haben drei leibliche Kinder und zwei Ziehsöhne. Der 25-jährige Sevi aus Kamerun, Wirtschaftsinformatiker von Beruf, war ihr Pflegekind. Er lebte sechs Jahre, von 2007 bis 2013, bei ihnen. Den 19-jährigen Lamin Fatty haben sie erst im November vergangenen Jahres „adoptiert“. Ihre Töchter, Rahel, 24 Jahre, und Naemi, 20, hatten den jungen Gambier, der seit Januar 2015 im Roncalli-Haus in Oeffingen lebte, in Stuttgart kennengelernt. Die beiden tranken Cocktails auf der Theodor-Heuss-Straße und beobachteten, wie er im Müll nach Pfandflaschen suchte. Rahel und Naemi gaben Lamin Fatty zwei Euro, der junge Mann gab ihnen seine Telefonnummer. Naemi rief an, und bald schon trafen sie sich zu dritt. „Schon wegen Sevi haben wir in unserer Familie keine Vorurteile“, sagt Claudia Ruf. Bald gesellte sich auch der 14-jährige Bruder Noah dazu.

„Mama, wir brauchen dich“

Gemeinsam gingen sie auf den Weihnachtsmarkt oder zum Joggen. Doch die anderen merkten, dass ihren afrikanischen Freund etwas bedrückte. „Er hatte ein Schreiben vom Anwalt bekommen wegen seiner Abschiebung, und die Mädchen meinten, Mama, jetzt brauchen wir dich“, sagt Claudia Ruf. Von da an sei sie in der Geschichte drin gewesen. Bald war Lamin Fatty, der beim TV Oeffingen Fußball spielte, ein gern gesehener Gast, nicht nur zum gemeinsamen Kochen und Essen, im Haus der Familie in Remseck. Claudia und Thomas Ruf wollten Lamin Fatty zum Gerichtstermin wegen seiner Abschiebung am 8. März ans Verwaltungsgericht begleiten. „Doch er tauchte ab“, sagt Claudia Ruf. Damit war sein Schicksal besiegelt.

Die Abschiebung wurde von den Behörden für die Nacht vom 21. zum 22. August zwischen drei und fünf Uhr morgens festgesetzt. „Fatty war natürlich nicht da, als sie kamen, um ihn zu holen“, sagt Claudia Ruf. Sie ging mit Lamin Fatty zum Stuttgarter Verwaltungsgericht und versuchte, die verfahrene Situation zu retten. „Der Frau dort tat es furchtbar leid, aber sie sagte, da geht nichts.“ Die Rufs riefen die Flüchtlingshilfe an, die auf eine Online-Petition für einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Gambia verwies. Die Rufs schalteten einen Anwalt ein. Anfang September wollte Lamin Fatty bei der Ausländerbehörde in Fellbach seinen Pass verlängern lassen. „Er war allein dort, die Mitarbeiterin hat die Polizei informiert, und die haben ihn gleich mitgenommen“, sagt Claudia Ruf empört.

Ein freundlicher Beamter

Fatty wurde in die Justizvollzugsanstalt Pforzheim gebracht. „Er hatte nichts dabei“, sagt Claudia Ruf. Am gleichen Abend rief sie im Gefängnis an. Ja, Lamin Fatty sei dort angekommen, sagte ihr ein Beamter, obwohl er das eigentlich nicht durfte. Sie besuchte ihn: „Er saß in einem Hochsicherheitstrakt, obwohl er kein Verbrechen begangen hat.“

Unverständlich findet Claudia Ruf auch, dass Lamin Fatty im Revier in Fellbach, in das er zunächst gebracht wurde, ein Anruf verweigert wurde. „Er wollte mir Bescheid sagen und durfte nicht telefonieren.“

Lamin Fatty ist unterdessen in Mailand angekommen. Behördenvertreter sagten ihm, so Ruf, dass es für ihn keine Wohnung gebe. Für die Familie steht fest, dass sie mit dem jungen Gambier in Kontakt bleiben. „Wir wollen schließlich wissen, wie es ihm geht“, sagt Claudia Ruf.