Dem 33 Jahren alten Stiefvater von Alessio wird vorgeworfen, den Dreijährigen im Januar 2015 auf einem Bauernhof in Lenzkirch zu Tode geprügelt zu haben. Foto: dpa

Der Staatsanwalt fordert acht Jahre Haft für den angeklagten Stiefvater des dreijährigen Alessio – Wurde der Junge wirklich jahrelang geschlagen?

Freiburg - Auch drei Wochen nach dem ersten Verhandlungstag gibt es im Alessio-Prozess mehr Fragen als Antworten. Einig sind sich alle Beteiligten nur in einem Punkt: Der Angeklagte Norbert T. hat seinen dreijährigen Stiefsohn am 16. Januar mehrfach in den Bauch geschlagen und daraufhin zum Kinderarzt gebracht. Dort ist Alessio seinen Verletzungen erlegen. Weiterhin strittig ist, ob der Landwirt den Jungen über einen längeren Zeitraum missbraucht hat – und welche Verantwortung der Mutter zukommt.

Mehrfach wies Staatsanwalt Klaus Hoffmann in seinem Plädoyer auf die schwierige Beweislage hin. Zwar seien im Kindergarten und bei Arztbesuchen regelmäßig blaue Flecken bei Alessio festgestellt worden. Ob es sich dabei stets um die Folgen von Schlägen gehandelt hat oder – wie der Angeklagte behauptet – um Sturzverletzungen, sei aber nach wie vor unklar. „Nach Berichten der Rechtsmedizin deuten einzelne Verletzungen auf Misshandlungen hin, andere aber nicht“, erklärte Hoffmann. Und: „Für keine der Verletzungen gibt es direkte Zeugen.“

Immer wieder blaue Flecken

Der Staatsanwalt plädierte folglich auf Körperverletzung mit Todesfolge und forderte eine Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Zu Beginn des Prozesses hatte er noch von Totschlag gesprochen.

Im Zeugenstand war der 33-Jährige in den vergangenen Wochen von mehreren Personen als strenger, aber auch fürsorglicher Vater beschrieben worden. So habe Alessio auch im Kindergarten schnell blaue Flecken bekommen, nachdem er mit einem anderen Kind zusammengestoßen war. „Von einem dauerhaften Quälen kann nicht ausgegangen werden“, schlussfolgerte Hoffmann, wenngleich er einzelne Misshandlungen nicht in Abrede stellte. Wichtig sei aber die Frage: „Wer war der Verursacher? Der Angeklagte oder die Kindesmutter?“

Es besteht Selbstmordgefahr für den Angeklagten

Überhaupt kam die Rolle von Alessios Mutter häufig zur Sprache. „Ihre Angaben müssen wir sehr vorsichtig würdigen“, sagte der Staatsanwalt. Die psychisch kranke Frau habe sich bei ihrer Aussage in Widersprüche verstrickt und bei einem Kinderarztbesuch gesagt, sie wolle Alessio manchmal „am liebsten an die Wand klatschen“.

Die Anwältin der Mutter, Katja Ravat, sah das naturgemäß anders. „Ich habe eine Mandantin, die einiges dazu beigetragen hat, dass es so weit kommen konnte“, räumte sie ein. Trotzdem habe die Mutter stets ihre Mitschuld bestritten und nie Aggressivität gegenüber Dritten gezeigt. Äußerst kritisch beurteilte Ravat die Arbeit des Jugendamtes. Dieses habe sich unprofessionell verhalten, weil es Auflagen wie die geforderten 14-tägigen Besuche beim Kinderarzt nicht kontrolliert habe.

Verteidigerin Eva Kanngießer wies darauf hin, dass T. seit der Tat ständig beobachtet werden müsse, weil Selbstmordgefahr bestehe. „So verhält sich kein Mensch, der nicht reuig ist.“ Sie plädierte auf eine Haftstrafe von vier Jahren. Nachdem die Anwälte ihre Plädoyers vorgetragen hatten, erteilte Richterin Eva Kleine-Cosack dem Angeklagten das Schlusswort. Der hob zum ersten Mal den Kopf und fasste sich kurz: „Es tut mir leid.“