Glück ist einem nicht in die Wiege gelegt – Man sich aktiv darum bemühen und mit viel Selbstdisziplin daran arbeiten : Foto: Fotolia

Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit: Forscher suchen nach der Formel für ein gelungenes Leben. Wie hängen Charaktereigenschaften und Lebensweise zusammen?

Stuttgart - Welcher Erwachsene erinnert sich nicht wehmütig an seine Oma und seinen Opa, die mit zunehmendem Alter immer milder, freundlicher und gütiger wurden. Als man noch ein kleiner Junge war, herrschte der Großvater einen an, wenn man sein Fahrrad zerlegt hatte und nicht wieder zusammenbasteln konnte. Doch je älter der Großvater wurde, desto inniger und freundschaftlicher wurde das Verhältnis. In seinen letzten Lebensjahren war Opa die Güte in Person: großzügig, verständnisvoll und mit sich und seinem Leben zufrieden.

Doch kann man solche Einzelschicksale verallgemeinern? Wird man im Alter wirklich milder? Werden Menschen im Alter besser und netter? Australische Wissenschaftler des Melbourne Institute of Applied Economic and Social Research haben dieser Frage jetzt einen ganzen Forschungsbericht gewidmet. Er ist im Internet unter dem Link: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jopy.12081/abstract  zu finden.

Persönlichkeit und Lebensumstände

Zwei Faktoren beeinflussen ganz entscheidend die Biografie eines Menschen: seine Persönlichkeitsstruktur und seine Lebensumstände. Zwischen beiden gibt es keinen Gegensatz oder eine einseitige Beeinflussung. Vielmehr bedingen sich beide Aspekte reziprok, dass heißt wechselseitig. „Kein Mensch, auch kein älterer, ist homogen in irgendeine Richtung“, sagt der Esslinger Altersmediziner Martin Runge. Dass man mit dem Alter immer netter und umgänglicher werde, sei „Unfug". Runge ist Chefarzt der Aerpah-Klinik, einem Geriatrischen Zentrum in Esslingen-Kennenburg und ein Experte auf dem Gebiet der Altersforschung.

„Die Generalisierung, dass man mit dem Alter immer netter werde, ist schlicht und einfach falsch“, so Runge weiter. „Richtiger wäre es zu sagen, dass sich im Alter bestimmte Persönlichkeitszüge verschärfen. Es gibt auch viele Alte, die richtig giftig sind.“

Studie: Wie hängen Charaktereigenschaften und Lebensweise zusammen?

Die australischen Forscher sind der Sache auf den Grund gegangen. Sie befragten mehr als 16 000 Landsleute und kamen zu dem Ergebnis, dass zwischen Persönlichkeit und Lebensführung keine einfache lineare, sondern wechselseitige Beziehungen existieren. Das gelte für alle Lebensalter: für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene und alte Menschen.

Die übliche Ansicht ist, dass vor allem Persönlichkeitsmerkmale – also stabile Eigenschaften, die jemand über längere Zeit hat – das äußere Wohlergehen beeinflussen. Man ist ein offener und positiver Mensch, folglich wird es einem schon gut gehen. Doch so einfach ist es nicht. Denn diese Aussage gilt auch umgekehrt. „Die entscheidende Frage ist: Ist der Charakter abhängig von den Lebensumständen oder umgekehrt? Beides ist der Fall“, betont Runge. „Zwischen beiden Bereichen gibt es immer eine Interaktion und erst die macht ein glückliches oder unglückliches Leben aus.“

„The Long-Life-Formel“ – Die Formel für ein langes Leben

Auch die beiden US-Forscher Howard Friedman und Leslie Martin sind dieser spannenden Frage nachgegangen. In den Wohlstandsgesellschaften werden die Menschen immer älter. Hat dies vornehmlich mit der besseren medizinischen Versorgung, der gesünderen Ernährungsweise, einem höheren Lebensstandard zu tun oder ist es gar genetisch bedingt? In ihrem Buch „Die Long-Life-Formel“ (Beltz-Verlag) kommen sie zu dem Schluss, dass neben einem günstigen sozialen Umfeld vor allem Disziplin und Zielstrebigkeit entscheidend sind – also Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensmuster, nach denen jemand sein Leben stringent und konsequent gestaltet.

Die US-Wissenschaftler begannen in den 1990er Jahren damit, Langzeitstudien mehrerer Forschergenerationen auszuwerten und fortzuführen. Begründet wurde dieses generationsübergreifende Projekt von dem amerikanischen Psychologen Lewis Terman. Er hatte ab 1921 damit begonnen, insgesamt 1528 hochbegabte Kinder, die nach 1921 geboren waren, auf ihrem Entwicklungsweg zu begleiten. Auch nach Termans Tod 1951 wurde die Studie weiterverfolgt.

Friedman und Martin sichteten das Material, analysierten und bewerteten es neu, um langfristige Aussagen über Gesundheit und ein langes Leben zu treffen. Dabei zeigte sich, dass etwa Sport, gesunde Ernährung oder Sparsamkeit allein noch kein langes Leben bedingen. Es ist vielmehr die Summe der Faktoren, die positive Effekte auf die Gesamtkonstitution hat.

Selbstdisziplin als Weg zum Glück

Nichtsdestotrotz gab es einen zentralen Faktor, der ein langes, zufriedenes Leben stark begünstigt: Gewissenhaftigkeit und Selbstdisziplin. „Es waren vor allem die Undisziplinierten, die das Zeitliche gesegnet hatten“, heißt es in dem Buch. Das hat eine simplen Grund: Disziplinierte Menschen tun demnach mehr für den Erhalt ihrer Gesundheit und unternehmen weniger riskante Dinge. Sie würden weniger trinken, rauchen und auch nicht so rasant Autofahren. Gewissenhafte Menschen würden zudem „aufgrund ihrer Persönlichkeit gesündere Lebenssituationen und Beziehungen aufsuchen“.

Selbstdisziplin, sagt Altersmediziner Runge, sei wie ein Container für eine ganze Reihe von vermittelnden Verhaltensweisen. „Natürlich haben Bewegung oder Ernährung Einfluss auf die Gesundheit. Doch entscheidend ist, wie einzelne Faktoren mit dem Leben eines Menschen gekoppelt sind.“

Man sollte auf seine innere Stimme hören

Der Weg zu einem glücklichen und langen Leben – und zu Zufriedenheit im Alter – ist lang, mitunter steinig und sehr differenziert. Eine einfache Lösung gebe es nicht, sagen die Forscher. Doch ein „moderates Besorgtsein“, ein sorgsames Achten auf sich und seine Bedürfnisse, ein Hören auf die innere Stimme bringen offenkundig Vorteile mit sich. Ebenso wie ein gut gepflegtes soziales Netz, Freundschaften und ein gutes Klima bei der Arbeit. Dazu Geselligkeit und ein freundlicher Umgang, den man grundsätzlich mit anderen Menschen pflegt.

Insgesamt handelt es sich bei der Formel für ein langes, glückliches Leben um ein sehr komplexes Netz aus „Ausdauer, Klugheit, Arbeit und individuell sinnerfüllten Lebenswegen“, wie Friedman und Martin schreiben.

„Wir können durch unser Verhalten unsere Gene aktivieren“

Und noch etwas ist wichtig, wie Runge erklärt: „Wir können durch unser Verhalten und Erleben unsere genetische Aktivität beeinflussen und aktivieren.“ Das heißt: Wer auf sich achtet und konsequent das Gute sucht und das Schlechte meidet, wird sein genetisches Potenzial sehr viel effektiver nutzen als jemand, der griesgrämig und verbittert durch Leben geht.

Aktiv nach dem Glück suchen

Wer also glücklich und zufrieden leben und altern will, darf nicht die Hände in den Schoß und hoffen, dass schon alles glatt läuft. Er muss vielmehr aktiv nach seinem Glück suchen. Glück ist kein Zufall, man muss es selber in die Hand nehmen. Dieser banale Satz erhält durch die Forschungen einen ganz neuen Sinn. Nicht nur „Old is beautiful“ – nicht nur das Alter ist schön –, sondern das Leben ist schön. Man muss es nur als unendlich wertvoll erkennen und dankbar für jeden neuen Tag sein.