Vor allem im Handwerk werden Fachleute dringend gesucht. Foto: dpa

Zwar schlagen die geburtenschwachen Jahrgänge wohl erst Mitte des kommenden Jahrzehnts so richtig durch, dennoch haben einige Betriebe schon jetzt erhebliche Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden.

Rems-Murr-Kreis - Es ist wie verhext: Die anhaltende Niedrigzinsphase beschert Handwerkern, insbesondere jenen im Bau- und Ausbaugewerbe, Aufträge in lange nicht mehr dagewesener Fülle. Statt das Geld auf die Bank zu tragen, wo wenig Rendite zu erwarten ist, verlegen sich nicht wenige Häuslesbesitzer darauf, ihr Heim zu sanieren, aufzuhübschen oder gar neu zu bauen. Doch viele Handwerksbetriebe finden nicht genügend geeignetes Personal, um die Anfragen abarbeiten zu können.

In der jüngsten Umfrage der Handwerkskammer Region Stuttgart vom dritten Quartal dieses Jahres hätten rund ein Drittel der befragten Betriebsinhaber angegeben, zurzeit händeringend auf der Suche nach neuen Mitarbeitern zu sein, sagt die betriebswirtschaftliche Beraterin und Koordinatorin für Personalentwicklung, Christa Muschert. Drei Viertel beklagten gleichzeitig eine miserable Qualität der Bewerbungen. Der Mangel treffe wegen der hervorragenden Konjunkturlage zurzeit die Bau- und Ausbaugewerke besonders stark, sei aber eigentlich über alle Gewerke zu verzeichnen, sagt Christa Muschert. In vielen Bereichen habe das Handwerk in der Konkurrenzsituation mit der Industrie einfach das Nachsehen.

Pflegeberufe und Gastronomie weniger beliebt

Dort allerdings macht sich der demografisch bedingte Fachkräftemangel auch schon bemerkbar. Das bestätigt der Leitende Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rems-Murr, Markus Beier. In manchen Branchen sei man zum Teil massiv auf Mitarbeitersuche, flächendeckend sei der Mangel bei Industrie und Handel allerdings noch nicht angekommen. Betroffen seien vor allem Branchen, in denen die „tatsächliche oder subjektiv wahrgenommene Attraktivität“ nicht so groß sei, Pflegeberufe etwa oder die Gastronomie. Insbesondere kleinere und nicht so bekannte Unternehmen hätten Schwierigkeiten bei der Mitarbeitergewinnung.

Der sogenannte IHK-Fachkräftemonitor geht in der Region Stuttgart aktuell von immerhin 27 000 Stellen aus, die nicht adäquat besetzt werden können. Das ist freilich noch deutlich unter den erwarteten Entwicklungen. Schon für das Jahr 2021 rechnet die IHK mit einer sogenannten Fachkräftelücke von 92 000, ein weiterer Höhepunkt wird mit 128 000 im Jahr 2029 erwartet.

Die Unternehmen seien gut beraten, wenn sie dem Mangel durch eigene Aus- und Weiterbildung begegneten, sagt Beier – wissend, dass dies vor allem kleinere Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Zumal man bei der Personalpolitik und -gewinnung nicht umhin kommen werde, die veränderten Ansprüche der nachwachsenden Generation zu berücksichtigten und auch bezüglich der Arbeitszeitmodelle flexibel zu sein. Zudem müsse man sich darauf einlassen, auch schwächeren Schülern Chancen zu einer Qualifizierung zu bieten. In der Pflicht sieht Beier allerdings auch die Kommunen: sie sollten ein attraktives Wohn- und Lebensumfeld schaffen und damit im Wettbewerb um kluge Köpfe punkten.

Genaue Prognose schwierig

Die Frage, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die weitere Wirtschaftslage und damit den Arbeitsmarkt genau haben wird, sei seriös nicht zu beantworten, sagt der Leiter der Arbeitsagentur Waiblingen, Jürgen Kurz. Zu viele Faktoren spielten hier eine Rolle: die politischen Rahmenbedingungen, die Veränderungen der Erwerbsbeteiligung, die Zuwanderung von Fachkräften oder die technische Entwicklung. „Sicher ist aber, dass sich die Anforderungen an die zukünftigen Mitarbeiter und damit die Qualifizierungsbedarfe durch die zunehmende Digitalisierung verändern werden“, sagt er.

Gerade im Rems-Murr-Kreis haben die Arbeitsagentur und die Kammern allerdings bereits frühzeitig auf die sich abzeichnende Entwicklung reagiert. Seit 2012 entwickelt eine Fachkräfteallianz, der außerdem der Arbeitgeberverband Südwestmetall, das Landratsamt und der Gewerkschaftsbund DGB angehören, neue Formate, um Mitarbeiter zu rekrutieren und zu qualifizieren. Zudem gibt es regionale, landes- und bundesweit gesteuerte Kampagnen. Mit dem Projekt „Dialog und Perspektive Handwerk 2025“ beispielsweise wollen das Wirtschaftsministerium und der baden-württembergische Handwerkstag Unternehmer dabei unterstützen, Fachkräfte an sich zu binden, den Betrieb strategisch auszurichten und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

Frau als Chefin veranlasst zur Kündigung

Auch das bisher noch gar nicht in die statistischen Prognosen eingeflossene Thema Zuwanderung versuche man aktiv zu nutzen, sagt Christa Muschert von der Handwerkskammer Region Stuttgart. Dass allerdings nicht jede theoretische Chance in der Praxis auch automatisch funktioniere, zeige sich etwa an einem aktuellen Beispiel. Ein Betrieb habe unlängst einen syrischen Flüchtling zum Schreiner ausgebildet. Der Mann, immerhin schon Mitte 30, sei anfangs hoch motiviert gewesen, habe dann aber massiv unter den Rahmenbedingungen gelitten, mit Dingen wie Pünktlichkeit oder Zeitdruck erhebliche Schwierigkeiten gehabt. Als ihm dann eine junge Chefin vorgesetzt wurde, habe er schließlich das Handtuch geschmissen.