Bäckermeister Harald Dreßler findet kein Personal Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Immer weniger Schulabgänger ergreifen ein Handwerk. Und das hat Folgen: Im Stuttgarter Westen schließt die Bäckerei Dreßler jeden Samstag ihre Türen, die Metzgerei Schneider hat montags zu.

Stuttgart - Harald Dreßler ist im Stress. Immer wieder wechselt der Bäckermeister zwischen Verkauf und Backstube, Telefon und Wechselgeld. Punkt zehn Uhr morgens reihen sich vor seiner Auslage die Kunden; sie wollen Brezeln, Plunder, Brötchen. Als Dreßler eine ruhige Minute findet, erklärt er: „Letztes Jahr um diese Zeit hatten wir zwei Verkäuferinnen mehr. Wir suchen seit vier Monaten händeringend nach Personal – vergebens.“ Über zu wenige Fachkräfte auf dem Markt klagen auch die Bäcker- und die Fleischerinnung Stuttgarts. Sogar die Agentur für Arbeit ist durch den Engpass alarmiert.

Ihr schickte Dreßler bereits einen Antrag. Daraufhin sandte ihm die Arbeitsagentur zwar 30 Vorschläge – doch nur zwei der Bewerber seien tatsächlich in der Bäckerei im Stuttgarter Westen erschienen, sagt Dreßler. „Beide waren nicht geeignet.“ Nun kümmert sich der 47-Jährige selbst um die zusätzliche Arbeit: „Brechen sich meine Frau oder ich das Bein, ist es mit dem Geschäft vorbei.“

Die Handwerkskammer Region Stuttgart zeigt sich stark beunruhigt ob der Entwicklung. Ihr Pressesprecher, Gerd Kistenfeger, erklärt: „Der Fachkräftemangel zieht sich quer durch alle Branchen. Besonders eklatant ist er in der Lebensmittelbranche.“ Dieser Trend spitze sich zu: Bei den Bäckern und Fleischern seien Lehrstellen Leerstellen. Manche Betriebe hätten es aufgegeben, Azubi-Stellen auszuschreiben. „Wegen des demografischen Wandels haben wir weniger Schulabgänger“, sagt Kistenfeger. „Die Lage wird sich noch verschärfen.“ Einen weiteren Grund sieht er in der fortschreitenden Akademisierung: „Inzwischen meint jeder, studieren zu müssen. Ich sehe das mit großer Sorge.“ Denn freie Azubi-Stellen jetzt bedeuten vakante Mitarbeiterstellen später.

Im Bäcker- und Fleischerhandwerk waren am 30. September ein Drittel der Azubi-Stellen unbesetzt

1135 freie Ausbildungsplätze listet die Handwerkskammer in der Region Stuttgart für 2015. Im Bäcker- und Fleischerhandwerk waren am 30. September ein Drittel der Azubi-Stellen unbesetzt (42 von 123). Bei den Lebensmittelfachverkäufern waren sogar 41 Prozent der Stellen frei (75 von 183).

Eine Auszubildende hat Bäckermeister Dreßler zwar. Um den Betrieb wie bisher aufrecht zu erhalten, ist das aber zu wenig. Die Konsequenz: Samstags wird nicht mehr verkauft. Studentin Daniela Erichsen (30) findet das schade: „Ich wohne um die Ecke und komme fast jede Woche, um Frühstücksbrötchen zu kaufen.“ Auch Freiberuflerin Brigitte Mey (37) bedauert die Schließung: „Eigentlich wäre es kein Problem, zu einem anderen Bäcker zu gehen. Ich würde aber gern zu diesem.“ Denn im Westen backen nicht mehr viele Bäcker ihre Brötchen selbst. Die Bäckerei Dreßler, geführt in der vierten Generation, gehört zu ihnen.

Von der Agentur für Arbeit werden Fachverkäuferinnen im Lebensmittelbereich nicht oft vermittelt. Doris Reif-Woelki sagt: „Wenn wir einmal Fachkräfte führen, sind sie nicht lang arbeitslos. Die, die sich jetzt zum Bäcker oder Fleischer ausbilden lassen, haben später eine sichere Arbeitsstelle.“

Ganz in der Nähe der Bäckerei Dreßler hat die Metzgerei Schneider mit demselben Problem zu kämpfen. Seit August bleibt der Betrieb montags zu. „Wir machen das nicht gerne“, sagt Elfriede Schneider und schneidet mit geübtem Griff ein Stück von einer rosafarbenen Lyoner. „Aber wenn man nicht genügend qualifiziertes Personal findet, bleibt einem nichts anderes übrig.“ Die 74 -Jährige übernahm den Betrieb 1961 von ihrem Schwiegervater. Heute führt Sohn Wolfgang die Geschäfte. Der 55-Jährige macht sich Sorgen um die Zukunft. Und fällte deshalb die Entscheidung, den Montag zu streichen. „Bisher hatten wir montags den halben Tag geöffnet. Für unser Personal ist ein langes Wochenende aber schön“, sagt er. Im Umsatz merke er den fehlenden Tag zwar, sagt Schneider. „Aber nur mit einer vernünftigen Bezahlung und attraktiven Arbeitszeiten haben wir vielleicht eine Chance, das Geschäft in Zukunft weiter zu betreiben.“

Florian Lutz von der Landesinnung der Bäcker sieht das ähnlich. „Nur wenn sich die Handwerksbetriebe als attraktive Arbeitgeber präsentieren, können sie den Nachwuchs locken“, sagt er. Alternative Möglichkeiten, geeignetes Personal zu gewinnen, sieht der Bäckermeister darin, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben oder Quereinsteiger – zum Beispiel aus dem Einzelhandel – im Betrieb selbst anzulernen.Eine Patentlösung für die Betroffenen hat aber auch er nicht.

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