Annalisa Ruisi, Stefania Malvaso und Valentina Micalizzi (von links) verwandeln sich in den Katakomben des Leonberger Krankenhauses in neue Mitarbeiterinnen der Klinik Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Die Stuttgarter Nachrichten begleiten eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Der Dienst an den künftigen Arbeitsstellen beginnt.

Stuttgart/Leonberg - Der Weg führt durch lange Gänge im Untergeschoss. Schilder weisen die Richtung zu merkwürdigen Plätzen wie dem „Patientengarten“ oder dem „Konferenzraum“. Wer erst seit ein paar Monaten in Deutschland ist, tut sich mit solchen Namen schwer. Es ist früher Morgen im Bauch des Leonberger Krankenhauses. Und drei junge Italienerinnen sowie ein junger Italiener lernen ihren künftigen Arbeitsplatz, ihre berufliche Zukunft, kennen. Stefania, Valentina, Annalisa und Leonardo spielen nervös mit ihren Fingern und sind stiller als sonst. Es wird ernst.

Vier Monate Sprachkurs, der Umzug von den Gastfamilien in eigene möblierte Appartements und zwei Wochen mit praktischem Unterricht liegen hinter den 14 Krankenpflegekräften, die der Klinikverbund Südwest im Januar für seine Krankenhäuser in die Region Stuttgart geholt hat. Und jetzt ist er da, der große Tag: Es geht an die Ar-beitsplätze. Zum ersten Mal ist die Gruppe nicht mehr gemeinsam unterwegs. Nach und nach muss jeder auf eigenen Beinen stehen.

Im Zimmer mit dem merkwürdigen Namen „Konferenzraum“ wartet ein neunköpfiges Empfangskomitee samt einem kleinen Willkommensgeschenk auf die Neuankömmlinge. „Wir sind sehr froh, dass Sie heute hier sind. Dieses Projekt ist sehr wichtig für uns“, sagt Krankenhausdirektor Benjamin Stollreiter. Die Anwerbung von Fachkräften im Ausland habe sich für den Klinikverbund bewährt. Stollreiter misst der Geschichte auch gleich eine politische Bedeutung bei: „Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit zeigt, was auch an Positivem hinter der Idee Europa steckt.“

Die vier examinierten Krankenpflegekräfte lächeln. Für sie stehen an diesem Tag andere Fragen im Vordergrund. Wie benutzt man die Stempelkarte? Wo sind die Stationen? Welche Kleidergröße ist notwendig? Es geht den nächsten Gang hinunter zum Einkleiden. Ganz in Weiß und mit fünf weiteren Garnituren Dienstkleidung auf dem Arm stehen vier junge Leute auf dem Gang, die sich plötzlich so gar nicht mehr abheben von den anderen Mitarbeitern. Namensschildchen stecken am Revers. „Passt alles? Fünf Euro macht das“, sagt der Kollege in der Kleiderkammer und lacht. „Nein, nur Spaß.“ Willkommen am neuen Arbeitsplatz.

Weiter geht’s im Schweinsgalopp durch Gänge und Treppenhäuser. Hände werden geschüttelt. So mancher neue Kollege redet munter drauf los. „Das war jetzt ein bisschen schnell“, sagt Valentina und lächelt fast verlegen. Stefania dagegen wird sich daran gewöhnen müssen, dass ihr Vorname in schwäbischer Aussprache jetzt mit „Sch“ beginnt. Sie grinst. Die künftigen Anleiterinnen auf den Stationen werden besucht. Und zwischendurch lässt sich bei ein paar Butterbrezeln zur Beruhigung schon mal die künftige Frühstückspause um 9 Uhr morgens einüben. „Fragen Sie einfach immer. Das ist wichtig: fragen, fragen, fragen“, sagt Pflegedienstleiterin Doris Weis. Alle nicken artig mit dem Kopf.

Das Umfeld in Leonberg könnte für die Neuankömmlinge kaum besser sein. „Wir wohnen im Schokobau“, sagt Stefania und lacht. Der liegt gleich nebenan und hebt sich durch seine Farbe vom benachbarten Vanillebau ab. In dem Wohnheim hat jeder ein kleines Appartement mit 35 Quadratmetern und Balkon bezogen. Dort gefalle es ihnen gut, betonen alle vier.

Ganz so glatt wie in Leonberg sind die ersten Tage nach dem Verlassen der Gastfamilien indes nicht bei allen Italienern verlaufen. Probleme gab es bei den Dreien, die künftig im Böblinger Krankenhaus arbeiten sollen. Die vorgesehenen Wohnungen entsprachen weder den Vorstellungen des Klinikverbundes noch denen der Fachkräfte. Sie sind daraufhin erst einmal in das Hotel gezogen, in dem sie bereits nach ihrer Ankunft in Deutschland für einige Tage gewohnt hatten. Ende Mai stehen für sie möblierte Appartements in Sindelfingen zur Verfügung.

Nach mehreren Stunden sind die vier Neuankömmlinge in Leonberg erschlagen von den vielen Eindrücken. Zum Verdauen folgt das lange Pfingstwochenende. Zeit, ein wenig durchzuschnaufen. Am Dienstag um 8 Uhr morgens beginnt der Dienst. Zunächst werden die italienischen Pflegekräfte überall mit Kollegen mitgehen, dazwischen weitere Blocks mit Sprachunterricht haben. Eine harte Zeit. „Das Wichtigste ist, dass sie sich menschlich aufgehoben fühlen“, sagt Pflegedienstleiterin Weis. „Dafür wollen wir alles tun. Wir sind ein familiärer Betrieb.“

Einer mit vielen langen Gängen.

Hintergrund: StN-Projekt „Nordwärts

Der Fachkräftemangel in Deutschland bringt viele Unternehmen dazu, auch im Ausland nach Personal zu suchen. Gebraucht werden Ingenieure, Erzieher, Pflegekräfte und viele andere Berufe.

Auf dem Markt tummeln sich inzwischen diverse Anbieter, die Kandidaten nach Deutschland vermitteln. Der Internationale Bund (IB), ein großer Anbieter aus dem Sozialbereich, hat sich auf die Anwerbung von Pflegekräften und Erzieherinnen in Italien spezialisiert.

Unsere Zeitung begleitet den IB und den Klinikverbund Südwest in Sindelfingen unter dem Titel „Nordwärts“ ein Jahr lang von der Kandidatensuche bis zur Anerkennung der Fachkräfte in Deutschland und berichtet von den Erfahrungen. (jbo)