Willkommen in die Glitzerwelt: Einhörner sind für alle da. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Pferdeartige Fabelwesen mit einem Horn sind in Mode. In Stuttgart gibt es sogar eine Einhorn-Maultasche. Doch es kündigt sich bereits ein neuer Trend an.

Stuttgart - Zwei junge Frauen kichern vergnügt, als sie den mit flauschigen Kissen vollgestopften Verkaufsständer betrachten. Die Auswahl: Einhörner auf weißem, blauem oder pinkfarbenem Hintergrund. Eine knallpinke Geschenktüte haben sie bereits ausgesucht: „Hab’ keinen Bock mehr! Bin Zaubern!“ verkündet das über eine Wolke springende Einhorn darauf. „Wir wollen unsere Freundin ärgern“, erklären die Mittzwanzigerinnen. „Sie mag Einhörner eigentlich gar nicht. Sie findet es ganz schlimm, dass darum so ein Hype gemacht wird.“

Und was für ein Hype. Ein paar Stunden Einkaufen auf der Stuttgarter Königstraße würden reichen, um sich und den eigenen Lebensraum von Kopf bis Fuß einhornmäßig auszustatten. Für die Küche: Tassen und Gläser, Frühstücksbretter, Salzstreuer, Ausstecher. Für das Aussehen: Ohrringe, Halsketten, Anstecker, flauschige Hausschuhe, T-Shirts, Socken. Magische Pferdekraft leisten Taschen, Rucksäcke und Beutel mit Einhorn-Motiven. Für Technikbegeisterte gibt es Kopfhörer mit Einhornköpfen und Handyhüllen. Für Wasserliebhaber sind riesige Einhorn-Schwimminseln da und – für diejenigen, die selbst gern ein Einhorn wären – eine Bademütze mit Horn darauf oder einen flauschigen Horn-Haarreif.

Maultasche ohne Fleisch

Selbst die Lebensmittelindustrie ist auf den Trend aufgesprungen. Im November 2016 brachte Ritter Sport eine Sonderedition Einhorn-Schokolade heraus, komplett mit Glitzerpackung. Es folgten Einhorn-Fruchtgummi, Einhorn-Likör – sogar eine pinkfarbene Einhorn-Bratwurst (aus Schweinefleisch). Seit Kurzem dürfen sich die Schwaben über eine lokale Einhornspezialität freuen – die Stuttgarter Metzgerei Bless hat nun Einhorn-Maultaschen – aus selbstverständlich pinkfarbenem Teig. Laut Bless stammt die Idee von der Kundschaft. Fleisch ist in der Kreation allerdings nicht zu finden – es hätten vor allem Kundinnen Interesse an der Maultasche gezeigt, und diese würden häufig vegetarisch leben.

In der Schwulen- und Lesbenszene sind die Tiere schon länger In. Wie es dazu kam, lässt sich schlecht erklären. Die in den letzten Jahren entstandene Verbindung zwischen Einhörnern und Regenbögen – ein Symbol des Stolzes der Schwulen und Lesben seit den Siebzigern – hat dazu definitiv beigetragen. Bisexuelle oder Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau empfinden, nennen sich häufig „Einhorn“ – als Zeichen von Seltenheit, oder Protest gegen Aussagen, dass es sie nicht gebe.

Ob die Nachfrage den Trend schafft, oder der Trend die Nachfrage schafft, darüber lässt sich streiten. Wer die Achtziger miterlebt hat, kann sich an eine Einhorn-Manie erinnern, die mit dem 1982 erschienenen Zeichentrickfilm „Das letzte Einhorn“ und dem Lied „The Last Unicorn“ verbunden war. Der aktuelle Trend ist dem Internet zu verdanken. Viele führen ihn auf den Animationsfilm „Ich, einfach unverbesserlich“ zurück, in dem die kleine Agnes von den Wesen richtig besessen ist.

Folgt der Flamingo aufs Einhorn?

Die Stuttgarterin Nicoletta Pusch (27) leitet seit April die Gruppe „Einhorn-Liebe“ auf Facebook. Dort werden Bilder der eigenen Einhornsammlung gepostet, es werden Einhorn-Artikel getauscht und verkauft. Bereits 669 Mitglieder sind dabei. Im Vergleich zu den englischsprachigen Unicorn-Gruppen, die zum Teil sogar fünfstellige Mitgliederzahlen genießen, wirkt das deutsche Pendant eher klein. Doch größer möchte Pusch, die als alleinige Moderatorin fungiert, die Gruppe auch nicht werden lassen – obwohl sie bereits 300 weitere Anfragen vorliegen hat: „Man verliert sonst den Überblick!“

Laut Tristan Horx vom Wiener Zukunftsinstitut, das Trend- und Zukunftsforschung betreibt, ist die Einhorn-Welle, so gigantisch sie auch scheinen mag, ein Mikro-Trend. Solche Hypes würden in der Regel circa ein halbes Jahr dauern – man denke an Pokémon Go. Vorhersehen könne man sie aber nicht. „Das wäre das Gold der Marketing-Industrie“, sagt Horx. Steffen Kahnt, stellvertretender Geschäftsführer im Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels, glaubt dagegen: „Das Einhorn hat das Zeug zum Klassiker. Ich denke, es wird sich in der Spielwarenwelt wie der Teddy-Bär etablieren“.

Tatsächlich sind in den letzten Wochen Einhörner etwas seltener geworden, auch wenn sie nicht verschwinden. Laut Michael Seibt, Verkaufsleiter einer Close-Up-Shop Filiale, ebbt das Interesse an den Fabeltieren bereits ab. Christina Grabitz, Ladenleiterin bei Tritschler, tippt darauf, dass als nächstes entweder das Faultier oder der Flamingo herrschen wird – die ersten Indizien dafür gebe es schon. Komm Einhorn, wir gehen.