Neonazis Ende Juli in Thüringen Foto: dpa

Sie nennen sich „nationale Liedermacher“ und singen gegen den „Volkstod“: Grüne Landtagsabgeordnete fordern, den Blick nicht nur auf Skinheads zu richten.

Stuttgart - Springerstiefel, Bomberjacken, kahle Köpfe. Die Bilder grölender Skinheads in ihren Outfits aus den 90ern wirken bis heute fort. Immer wieder muss der bierselige Glatzkopf als Schablone für den militanten Rechtsextremismus her halten. Dabei haben große Teile der Szene alte Klischees längst hinter sich gelassen. Vor allem, wenn es um den Soundtrack zu Hass und Rassismus geht. Gepiercte Jungnationalisten in Sportklamotten feiern „patriotische Rapper“ und Hardcore-Bands, die sich bei aus den USA stammenden Subkulturen bedienen. „Nationale Liedermacher“ mit Seitenscheitel und Gitarre singen bei Kameradschaftsabenden gegen den „Volkstod“ an. „Ausdifferenzierung“ ist das Schlagwort, das immer wieder fällt, wenn Soziologen die Entwicklung im rechtsextremen Milieu beschreiben.

Mit Kunstblut besudelt

Landtagsabgeordnete der Grünen plädieren jetzt dafür, den Blickwinkel zu erweitern. „Die Behörden fokussieren sich, wenn es um die rechtsextreme Musikszene geht, immer noch stark auf die klassischen Skinhead-Konzerte“, sagt Alexander Maier. Der Göppinger Landtagsabgeordnete hat mit seinem Kollegen Hermino Katzenstein eine Anfrage zur rechtsextremen Musikszene gestellt, die das Innenministerium nun beantwortete.

Anlass war ein Auftritt der sachsen-anhaltinischen Black-Metal-Band „Permafrost“ beim Festival „Torn your Ties“ in Boxberg-Bobstadt (Main-Tauber-Kreis) im September des vergangenen Jahres. Die Zeitzer gelten als Vertreter des „National Socialist Black Metal“ (NSBM), bei dem sich antichristlicher Nihilismus, rassistische Ideologie und antisemitische Menschenverachtung vermischen. „Kraft durch Krieg“ kreischt der Sänger von „Permafrost“ ins Mikrofon, wenn er mit Kunstblut besudelt auf der Bühne steht. Verfassungsschützer sind sich einig: die Gruppe ist rechtsextrem. In Baden-Württemberg spielt der NS-Metal aber kaum eine Rolle, ist sich der Geheimdienst sicher. Von einer „Nischenfunktion“ spricht Carsten Dehner vom Innenministerium in Stuttgart. Die Behörde sei auf keinem Auge blind, setze aber Schwerpunkte. „Die Skinheadszene ist dabei weiterhin der klassische Bereich“, erklärt Dehner. Acht Skinheadbands sind dem Verfassungsschutz in Baden-Württemberg derzeit bekannt. Sieben Konzerte der Szene fanden im Jahr 2016 im Land statt. Im langjährigen Vergleich ein „eher niedriger Wert“ analysiert das Landesamt in seinem Jahresbericht.

Viele rechtsextreme Konzerte

Die Zahl rechtsextremer Musikveranstaltungen ist aber deutlich höher. Das ergab die grüne Anfrage. Demnach fanden 2016 im Land 23 Auftritte rechtsextremer Bands oder Musikprojekte statt – allein neun davon in Bad Wildbad-Calmbach im Landkreis Calw. Mehrfach reiste die Szene-Prominenz in den Südwesten. Aufgelistet sind Veranstaltungen mit der rechten Hooligan-Kultband „Kategorie C“, dem Liedermacher Frank Rennicke und dem ehemaligen Sänger der als kriminelle Vereinigung verbotenen „Landser“. Im Verfassungsschutzbericht tauchen viele Ereignisse nicht auf, weil sie nicht in die Schublade der Skinhead-Konzerte passen. Auch der Auftritt der Rechtsaußen-Metaller von „Permafrost“ wurde nicht erfasst.

„Der Bericht ist mit seinen 356 Seiten jetzt schon sehr umfangreich“, verteidigt Carsten Dehner die Auswahl. „Wenn man da alles rein nimmt, wird es zu unübersichtlich“. Auch die Auflistung der Skinhead-Konzerte erfolge „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“. Alexander Maier sieht „Ungereimtheiten“ und will das Ministerium weiter in die Pflicht nehmen. Die rechtsextreme Musik habe für die Szene seit jeher eine stark identitätsstiftende Funktion. „Genau deshalb darf hier besonders der Verfassungsschutz nicht wegschauen“, sagte Alexander Maier.