Im Oktober 2014 eskalierten in Köln die Proteste gewaltbereiter Hooligans gegen Salafisten (HogeSa). Ein Teil von ihnen kam aus Baden-Württemberg, die Organisation wurde von einem V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz mit gegründet. Foto: dpa

In Baden-Württemberg leben etwa 9000 Extremisten. Ein Fünftel von ihnen soll gewaltorientiert sein – sagt die Landesregierung.

Stuttgart - Etwa 9000 Menschen in Baden-Württemberg sind für die Landesregierung Extremisten. 1710 von ihnen gelten als gewaltorientiert. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Die größte Einzelgruppe bilden mit 3655 Frauen und Männer, die den Islam extremistisch auslegen. „‚Islamismus’ umfasst alle politischen Auffassungen und Handlungen, die eine im Namen des Islam rechtmäßige Gesellschaft und einen Staat errichten wollen“, definiert der Brühler Professor Armin Pfahl-Traughber den Begriff. Das heißt: Das gesamte öffentliche wie private Leben soll sich an einer an angeblich von Gott vorgegeben Ordnung ausrichten. Diese Rechts- und Werteordnung leiten Islamisten aus dem Koran ab und nennen sie Scharia. Sie regele alle Bereiche des menschlichen Lebens, sie in Frage zu stellen oder gar zu verändern ist nach Überzeugung muslimischer Extremisten nicht möglich.

120 von ihnen orientieren sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden Baden-Württembergs an der Gewalt. So seien seit 2010 etwa 50 Dschihadisten aus dem Südwesten nach Syrien und in den Irak gereist. Zwei Drittel von ihnen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Mittleren Osten seien zehn Dschihadisten bei Gefechten oder Selbstmordanschlägen gestorben. 13 seien inzwischen zurückgekehrt.

810 von 1800 Rechtsextremisten sind gewaltbereit

Den größten Block der Islamisten bilden Interpretationen des Islams, die ihren Ursprung in der Türkei haben. Ihnen gehören etwa 2500 Personen an. Bei ihnen verweist Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) besonders auf die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG). Etwa 315 Menschen folgen arabisch-stämmigen Islamdeutungen. Hier ist besonders die „Muslimbruderschaft“ vertreten, eine der einflussreichsten islamistischen Bewegungen der arabischen Welt. Ihr Ziel ist es, bestehende Regierungen abzulösen und durch einen islamischen Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia zu ersetzen. Die Gruppe wird auch als „Mutterorganisation des politischen Islam“ bezeichnet.

Etwa 1800 Rechtsextremisten sind der Landesregierung bekannt. Von ihnen seien 810 gewaltorientiert. Junge Parteien wie „Der dritte Weg“ oder „Die Rechte“ verfügten zwar nur über „relativ wenig Mitglieder“. Sie böten der rechtsextremistischen Szene aber die Möglichkeit, sich ihnen anzuschließen. 53 Prozent der baden-württembergischen Rechtsextremen seien zwischen 21 und 40 Jahre alt, 19 Prozent von ihnen seien Frauen.

Ihnen stehen auf der linksextremistischen Seite 2590 Frauen und Männer gegenüber, von denen 780 gewaltorientiert seien. Die Sicherheitsbehörden ordnen 68 Prozent von ihnen der Altersgruppe zwischen 21 und 40 zu. Linksextreme Netzwerke versuchten, ihre Kräfte zu bündeln und sie so zu stärken, schreibt Strobl.

Dem Innenminister wirft die fragende FDP vor, ohne Konzept auf die extremistische Herausforderung zu reagieren. Ihm falle „zum Aufbau des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) als ‚Frühwarnsystem der Demokratie’ nur die Einführung von Telefonüberwachung, Onlinedurchsuchung und Wohnraumüberwachung ein“.

Computerexperten suchen gezielt nach Islamisten

Strobl hatte diese Woche angekündigt, personell wie finanziell den Islamismus stärker bekämpfen zu wollen. Dazu wolle er die Aufgaben bei der Polizei neu bewerten und etwa 100 Beamte aus anderen Aufgabenfeldern in diesem Bereich einsetzen. Zudem will er 30 Fachleute einstellen: Islamwissenschaftler und Computerexperten sollen beispielsweise das Internet gezielt nach Straftaten durchforsten. In seiner Antwort auf die Große Anfrage der Liberalen schreibt der Minister davon jedoch nichts.

Deshalb fordert Rülke, „umgehend im LfV mehr Stellen für die Informationsbeschaffung und -auswertung unter anderem mit Islamwissenschaftlern zu besetzen“. Auch um die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Flüchtlingsunterkünften in feste Formen zu bringen. Der FDP-Mann will zudem Aussteigerprogramme für Islamisten ausbauen und „den islamischen Religionsunterricht an Schulen in deutscher Sprache und von hier ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern erteilen“ lassen. Zudem müsse die Identität der bereits in Deutschland lebenden und noch zu uns kommenden Menschen stärker hinterfragt werden. „Man darf sich hier nicht länger auf Angaben der Flüchtlinge verlassen.“

Anregungen, die Rülke in eine Debatte des Landtages einbringen kann. Mit einer „Großen Anfrage“ kann eine Fraktion des Landtages nicht nur eine schriftliche Stellungnahme der Landesregierung verlangen, sondern auch eine anschließende Diskussion im Parlament auslösen.